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Die EU steht vor entscheidenden Weichenstellungen im Außengrenzschutz. Davon hängt ab, wie Migration künftig erfolgen kann und darf.

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Saskia Stachowitsch forscht über Sicherheits- und Militärpolitik und EU-Grenzsicherheit.

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Gemeinsam mit der Universität Wien stellt DER STANDARD die Semesterfrage, die sich im Wintersemester 2018/19 mit der Frage "Was eint Europa?" beschäftigt.

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Denken wir an eine Grenze, denken wir zunächst an Trennendes: ein Hindernis beim Übertritt von einem Staat in den anderen, Ort von Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen, Kristallisationspunkt zwischenstaatlicher Streitfälle oder sogar kriegerischer Auseinandersetzungen. Gleichzeitig verbinden Grenzen und stehen auch für Gemeinsames: Sie binden Staaten unmittelbar und physisch aneinander und sind damit auch Ort des Austausches, gemeinsamer Interessen und geteilter Verantwortlichkeit. Ob das Einigende oder das Trennende überwiegt, liegt an der konkreten Ausgestaltung von Grenzpolitiken und Grenzpraktiken.

Die EU steht sich langfristig selbst im Weg

Die gemeinsamen EU-Außengrenzen zeigen das deutlich auf, sie einen und trennen Europa zugleich. Sie ermöglichen grenzenlosere Beziehungen im Inneren der EU und verbinden die Union auch mit einem gemeinsamen Äußeren. Sie forcieren den kooperativen Grenzschutz der Mitgliedsstaaten und bringen neue transnationale Institutionen wie die Grenzschutzagentur Frontex hervor. Im Rahmen von Frontex-Operationen arbeiten tagtäglich Grenzschutzbeamte und Grenzschutzbeamtinnen aus verschiedenen EU-Ländern sowie Drittstaaten zusammen, lernen voneinander und entwickeln gemeinsame Praktiken und darüber auch einen gemeinsamen Berufsethos.

Auch auf der politischen Ebene stellen gemeinsame Maßnahmen in und mit Drittstaaten nach den letzten EU-Gipfeln die zentrale Lösungsstrategie für Migrationspolitik dar. Diese Entwicklungen sind von einer Externalisierung, also einer Auslagerung von Aufgaben im Grenzschutz und Migrationsmanagement an Akteure aus Drittstaaten begleitet. Die Außengrenzen werden dadurch von einer befestigten Linie zu einer sich in Richtung Nachbarländer ausbreitende Zone, die gemeinsam mit diesen aufrechterhalten wird.

Doch das Einende ist zugleich das Trennende, sowohl innerhalb als auch außerhalb des EU-Raumes. Es sind vor allem die unüberbrückbaren Gegensätze in Fragen der Migrationspolitik, wie bei der Forderung nach gerechter Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten, die zu einer Reduzierung auf Externalisierung als dominante Lösungsstrategie und kleinsten gemeinsamen Nenner geführt haben. Das wird mittel- bis langfristig trennende Effekte haben und den Interessen der EU und ihrem Anspruch im Wege stehen, ein globaler Akteur zu sein.

Problematische Zusammenarbeit mit autoritären Regimen

Externalisierung forciert nicht nur massive humanitäre und menschenrechtliche Krisen, sondern stellt einen Eingriff in die Machtverhältnisse der betroffenen Regionen in Nordafrika und auf dem Westbalkan dar. Das wird sich unweigerlich negativ auf die dortige politische Stabilität und eine funktionierende Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik auswirken. Die humanitäre Problematik besteht vor allem darin, dass Externalisierung internationales Recht wie die Verpflichtung zur Seenotrettung und das "non-refoulement" aushebelt – das Prinzip der Nichtzurückweisung in Länder, in denen Gefahren wie Folter und Verfolgung drohen. Zudem herrschen verheerende Zustände in der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung in vielen Drittstaaten. Externalisierung macht die Zusammenarbeit mit autoritären Regimen notwendig, die im eigenen Land Menschenrechtsverletzungen begehen und durch Kooperationen mit der EU weiter gestärkt werden. Aus beiden Externalisierungszonen, Nordafrika und Westbalkan, liegen bereits Berichte über systematische Gewaltanwendung gegen Migranten und Migrantinnen vor.

Die EU verliert ihre Glaubwürdigkeit

Die negativen Auswirkungen auf regionale Stabilität und das Verhältnis zu Nachbarstaaten ergeben sich zusätzlich durch die Anheizung innerstaatlicher Konflikte, etwa durch die Stärkung parastaatlicher Milizen in Libyen oder die Beförderung ethnonationalistischer Auseinandersetzungen in Bosnien und Herzegowina. Zudem radikalisieren sich Antiflüchtlingsdiskurse, und die Enttäuschung über das wenig partnerschaftliche Verhalten der EU breitet sich vor allem dort aus, wo das aktive Mittragen der EU-Migrationspolitik zur Bedingung für Unterstützung und Integration gemacht wird. Nachbarschaftliche Beziehungen und der Erweiterungsprozess werden dadurch empfindlich gestört.

Grenzpolitiken und Grenzpraktiken, die auf Abschottung und Externalisierung setzen, mögen kurzfristig Einigkeit in Europa erzeugen. Mittel- und langfristig werden sie aber das Trennende betonen: innerhalb der EU, zwischen der EU und dem Rest von Europa und zwischen Europa und seiner unmittelbaren Umgebung. Das schwächt die Rolle der EU als globaler Akteur und macht sie als Ort der Menschenrechte und der Humanität unglaubwürdig. (Saskia Stachowitsch, 14.11.2018)

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