Viel Zuspruch bei der heurigen Viennale gab es für Regisseur Roberto Minervini.

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Viennale-Leiterin Eva Sangiorgi hat das größte heimische Filmfestival nur wenig umgestaltet.

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Wien – Filmfestivals sind mehr als die Summe ihrer Teile. Im besonderen Fall überzeugen sie durch eine eigene Handschrift, durch einen Esprit, der sie von der Konkurrenz unterscheidet. Bei der ersten Viennale unter der Italienerin Eva Sangiorgi, die am Donnerstag mit El Ángel zu Ende ging, hatte man von Beginn an das Gefühl, dass ein neuer Ton eingezogen war: gelassen, verbindlich und mit viel Charme. So konnte Sangiorgi die Branche und das Wiener Publikum für sich gewinnen. Die Besucherzahl stieg von 91.700 im Vorjahr auf 93.200.

Umsichtige Filmauswahl

Das war auch deshalb bemerkenswert, als Sangiorgi das größte heimische Filmfestival nur wenig umgestaltet hat. Die Filmauswahl war umsichtig und fühlte sich nie unsicher an. Wer sich einen Überblick über die wesentlichen Produktionen eines Jahres verschaffen will, ist auf der Viennale nach wie vor hervorragend bedient. Einzig strukturell ließe sich das Feld der Features, wo Dokumentarfilm neben Spielfilm steht, nachschärfen, auch um die Übersicht für das Publikum zu erleichtern.

Baustellen bleiben allerdings an schon bekannten Stellen: Das Festival ist immer noch ein paar Tage zu lang. Am Ende ging dem Treiben die Luft aus, die Kinos wirkten leerer. Das Festivalzentrum in der Kunsthalle hat immer noch den Charme eines Betonbunkers. Das läuft der Idee der Öffnung zuwider. Da halfen auch die "Aperitivi" nur kurzfristig. Der Austausch mit Filmschaffenden ist hier nicht optimal aufgehoben.

Etwas bedauerlich war die hohe Zahl an Absagen. Immerhin gelang der Viennale mit Tilda Swinton als "Ersatz"-Gast noch ein schöner Coup. Auf solche Stars mit Affinität zum Autorenkino sollte man setzen. Freilich sind es nicht unbedingt die "großen Namen", die für diese besondere Viennale-Stimmung verantwortlich sind. So begeisterte beispielsweise der italienisch-amerikanische Regisseur Roberto Minervini bei Publikumsgesprächen durch seine Offenheit. Sein Tribute war auch besuchermäßig ein Erfolg.

Leserjurypreis an Minervini

Zuspruch gab es in Form des STANDARD-Viennale-Publikumspreises für Minervinis jüngsten Film What You Gonna Do When The World's On Fire?. Als "wichtigen und wertvollen Beitrag zum öffentlichen Diskurs über die strukturelle Diskriminierung von Afroamerikanern in den USA" empfiehlt die Leserjury die Doku für einen Verleih.

Der ebenfalls bei der Viennale-Abschlussgala verliehene Wiener Filmpreis für den besten österreichischen Film ging an Sudabeh Mortezais Prostitutionsdrama Joy. Christian Froschs Murer – Anatomie eines Prozesses wurde mit einem heuer erstmals vergebenen Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Der Erste-Filmpreis ging ex aequo an Chaos von Sara Fattahi und Styx von Wolfgang Fischer. Den Fipresci-Preis erhielt das experimentelle Generationenporträt Ne travaille pas (1968–2018). (Dominik Kamalzadeh, 8.11.2018)