Erfolgreichster Youtuber Österreichs und Buchautor: Michael Buchinger.

Foto: Dominik Pichler

Mit 155.000 Abonnenten ist Michael Buchinger einer der erfolgreichsten Youtuber Österreichs. Eine halbe Million Klicks erzielt er dort mit seinen Videos jeden Monat. Darin plaudert der 26-Jährige vor der Kamera in seinem Wohnzimmer über die Beziehung mit seinem Freund, Alltag, Wellnesstipps, seine frühere Magersucht und Dinge, die er hasst. Er geht zum HIV-Test, interviewt Hunde, und inzwischen macht er für seine Videos auch Praktika oder bäckt.

In guten Momenten ist das originell. In den besten geradezu aufklärerisch. Buchinger ist so etwas wie der einzige prominente Schwule in diesem Land, der öffentlich entspannt darüber redet. Zum Interviewtermin trägt er ein Hemd mit Leopardenmuster unter einer rosa Jacke.

Vor zwei Jahren hat er sein erstes Buch herausgebracht. Über einen Youtuber wie ihn, der sich quasi selbst vermarktet und seine Fanbasis gleich noch als Kundenstock mitbringt, muss sich ein Verlag in für den Buchmarkt schwierigen Zeiten wie diesen die Finger lecken. Oder?

Nein. Von österreichischen Verlagen hat er damals nur Absagen erhalten. Es wurde trotzdem im fünfstelligen Bereich verkauft. Nun erscheint sein zweites. In "Lange Beine, kurze Lügen" geht es um allerlei Flunkereien. Etwa muss er bei einem Treffen mit einem Fan erfahren, dass niemand sein wahres freundliches Ich kennenlernen will, sondern das grantige und ätzende aus dem Internet. Nicht den Michi, sondern den Michael Buchinger eben.

STANDARD: Wie ist es, sich selbst so öffentlich zu machen? Sie erzählen auch in Ihrem neuen Buch unter anderem vom späten und enttäuschenden ersten Mal. Ihre Videos sind mitunter sehr persönlich.

Buchinger: Nur bis zu einem gewissen Grad. Ich gebe so viel von mir preis, wie ich verkraften kann. Ich habe die Regel, dass ich nur Dinge bespreche, die ich verarbeitet habe, wie dass ich in meiner Jugend magersüchtig war. Das ist intim, aber schon Jahre her. Mein erstes Mal ist auch lange her. Ich bin mir damals wie ein Loser vorgekommen. Wenn ich das teile, gibt es vielleicht Leute, die sich dann nicht mehr wie ein großer Loser vorkommen.

STANDARD: Ihre Videos sollen trösten?

Buchinger: Im Moment ist mein Vorsatz, dass die Leute sich unterhalten fühlen. Ich stehe nicht mit dem Zeigefinger da und sage, ihr sollt euch nicht wie Loser fühlen und seid alle wunderschön und wertvoll. Aber wenn das einer draus ziehen kann, finde ich das ganz gut.

STANDARD: Das passiert also nebenbei?

Buchinger: Ab und zu mache ich Videos, in denen ich mit meinem Freund im Urlaub bin, und mir war nie bewusst, dass das jemandem etwas bedeuten könnte. Aber dann schreiben mir Leute und sagen, sie finden es schön, dass ich eine homosexuelle Beziehung so normal darstelle. Aber das ist ja nicht mein Vorsatz! Ich habe einfach eine homosexuelle Beziehung, und die ist für mich normal. Für viele ist das aber was Tolles.

Michael Buchinger mit seinem Freund auf Urlaub.
Michael Buchinger

STANDARD: Sie haben tausende Follower – empfinden Sie denen gegenüber eine Art von Verantwortung?

Buchinger: Zu Beginn meiner Youtube-Zeit war ich mir dessen nicht so bewusst. Ich musste da erst reinwachsen. Ich achte mittlerweile zum Beispiel darauf, in meinen "Hass-Listen" nicht gegen bestimmte Personen zu wettern, sondern meine Aussagen ganz allgemein gegen "Leute, die zu langsam gehen" zu richten.

STANDARD: Hass im Internet ist ein brennendes Thema. In den sozialen Netzwerken kann praktisch jeder viele Follower bekommen und diese ungefiltert mit Infos und Meinungen versorgen ...

Buchinger: Ich bin mir erst einmal nicht sicher, ob wirklich jeder viele Follower bekommen kann. Es gibt auf Youtube zwar viele Infoformate, in denen Leute die Nachrichten erklären, und ich glaube, dass viele junge Menschen sich so über gewisse Themen informieren. Das heiße ich nicht unbedingt gut. Aber ich habe das Gefühl, dass viele Nutzer kritisch sind. Blogger, die auf Instagram über Politik reden oder Statistiken nennen, werden oft von der Community gebeten, Quellen anzugeben. Sicher wird es immer ein paar geben, die Aussagen blind glauben. Aber es ist unsere Pflicht als Influencer, das nicht auszunutzen. Ich selbst spreche über Politik mit Freunden, aber nicht auf Youtube. Auch nicht wirklich über Religion.

STANDARD: Fragen Fans Sie oft um Rat?

Buchinger: Früher haben mir tatsächlich öfter Leute Mails mit Fragen wie "Michael, was soll ich machen?" geschrieben, und ich habe mir gedacht, spannend, dass ich da die erste Anlaufstelle bin. Das war bezeichnend für die falsche Intimität, die oft im Internet entsteht. Es wirkt vielleicht sehr offen und ist sehr offen. Aber was ich erzähle, ist gefiltert, ich erzähle die Hälfte nicht. Man wirkt jedoch wie der Junge von nebenan, wenn man diese Videos regelmäßig macht. Man wird zum Fixpunkt für viele. Weswegen viele, wenn sie mich sehen, Geschichten auspacken oder Umarmungen möchten. Früher war mir das unangenehm, jetzt ist es okay. Das gehört zu meinem Tag.

STANDARD: Viele können mit Ihnen aber nichts anfangen, in Kommentaren werden Sie als überdreht und nervig bezeichnet ...

Buchinger: Ich kann es nicht nachvollziehen, wenn sich jemand die Mühe macht, das zu tippen. Wenn ich etwas nicht mag, ist es mir wurscht. Ich kann aber natürlich damit umgehen und auch was draus lernen, zum Beispiel dass ich unbedingt meine Stimme ändern und nicht so anstrengend sein sollte.

STANDARD: Spielen Sie mit schwulen Klischees?

Buchinger: Ich bin in meinen Videos nicht schwuler als im echten Leben. Ich gebe mich so, wie ich bin. Ich kleide mich, wie ich mich kleide. Wenn das ein Klischee ist, dann sei es so. Ich rede vor der Kamera bloß lauter.

STANDARD: Nach #MeToo haben heuer unter #MeQueer Schwule und Lesben von Diskriminierung und Angriffen berichtet. Haben Sie solche Erfahrungen gemacht?

Buchinger: Die Schulzeit war nicht leicht für mich, und ich wurde aufgrund meiner Homosexualität oft aufgezogen. Einmal hat mich eine Lehrerin vor der gesamten Klasse aufgrund meiner "übertriebenen Gestik" gefragt, ob ich denn schwul bin, und das war sehr unangenehm für mich, da ich noch nicht geoutet war. Nach meinem Coming-out wurde es aber durchaus besser, und ich mache kaum negative Erfahrungen. Einmal habe ich im Nachhinein erfahren, dass eine Kooperation nicht zustande kam, da ich "zu schrill" bin. Aber das kann alles Mögliche bedeuten. Vielleicht kleide ich mich ja zu bunt für den Geschmack mancher Firmen.

STANDARD: Die australische Kabarettistin Hannah Gadsby hat ihr jahrelanges Spaßen über eigene homophobe Erlebnisse unlängst in ihrem Programm "Nanette" als selbstentwürdigend und letztlich selbstverletzend bezeichnet.

Buchinger: Sie ist schon lange im Geschäft, ich bin relativ neu. Dafür habe ich vielleicht zu wenig Lebenserfahrung.

STANDARD: Thomas Bernhard hat in "Alte Meister" geschrieben, dass es der Traum jedes Burgenländers ist, nach Wien zur Polizei zu gehen. Ihr Traum war es, Youtuber zu werden?

Buchinger: Youtuber zu werden war nie mein Traum, ich habe es einfach getan. Als ich 15 Jahre alt war, hat eine Freundin zu mir gesagt, du bist doch lustig, mach Youtube-Videos. Als ich 2009 angefangen habe, gab es in Österreich noch nicht viele, die das gemacht haben, und es gab kaum Youtube-Karrieren. Irgendwann habe ich aber gemerkt, meine Videos haben mehr Klicks als ich Freunde. Aber zwei Jahre lang habe ich wirklich sehr erfolglos Videos gemacht.

STANDARD: Ab wann konnten Sie davon leben?

Buchinger: Seit 2016. Da erschien auch mein erstes Buch "Der Letzte macht den Mund zu". Darüber, wie viele Klicks wie viel Geld bringen, rede ich: Es ist wenig. Ich habe im Monat etwa eine halbe Million Zugriffe und verdiene damit 300 bis 400 Euro. Mehr Geld macht man mit Werbeeinnahmen.

"Praktikum bei Michi": Michael Buchinger auf YouTube.
Michael Buchinger

STANDARD: Produktplatzierungen stehen immer wieder in der Kritik. Der Vorwurf ist, dass Firmen damit die gefühlt persönliche Beziehung ausnützen, die besonders junge Nutzer mit Youtubern verbindet.

Buchinger: Bei Produktplatzierungen versuche ich, nur solche einzugehen, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie für meine Follower sinnvoll sind.

STANDARD: Was heißt das?

Buchinger: Was Markenkooperationen angeht, sind viele junge Nutzer sehr kritisch und bemerken es, wenn eine Kooperation nicht völlig authentisch ist.

STANDARD: Ist Youtube heute neben Snapchat und Instagram noch the place to be?

Buchinger: Youtube ist noch immer meine Hauptplattform, wo ich die meisten Leute erreiche. Viele junge Nutzer bleiben aber auch auf Instagram. Ich habe dort oft mehr Zuschauer auf meinen Storys als auf Youtube, die kommen nicht herüber. Ich strecke meine Fühler aber auch in andere Richtungen wie Kabarett und Bücher aus. Beim Bücherschreiben habe ich aber eine Lektorin, die sagt, hier nicht fünf Seiten von deinem Mittagessen erzählen. Dieses Feedback finde ich schön. Schauspiel interessiert mich, aber da bin ich nicht so talentiert. So wie Jennifer Aniston 20 Jahre immer nur die gleichen Rollen spielen, das wär's! Ich mache einfach weiter und schaue, was die Leute am meisten interessiert. Wenn aber keiner mehr klickt, hör' ich schon auf, weil dann hat es ja keinen Sinn mehr. (Michael Wurmitzer, 9.11.2018)