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Wetterleuchten über dem Kapitol: In Washington grassieren amoralische Politik und die Angst vor einem politschen Flächenbrand, in dem alle umkommen.

Foto: Reuters/James Lawler Duggan

Es ist eine dieser Szenen, die sich unauslöschlich ins kollektive Gedächtnis einer Nation einbrennen: Donald Trump pöbelt Jim Acosta auf der ersten Pressekonferenz nach den Midterms im Weißen Haus an. Der CNN-Journalist versucht, weiter sachliche, aber ungemütliche Fragen zu stellen. Der Präsident nennt ihn im Gegenzug eine "unverschämte, fürchterliche Person". Eine Praktikantin will Acosta das Mikrofon entwinden, der lässt sich – im Sucher der Livekameras – nicht beirren. Stunden später wird er Hausverbot im Weißen Haus erhalten – mit der Begründung, er habe "Hand an eine junge Frau gelegt".

Selbst auf der nach unten weit offenen Trump-Entgleisungsskala gibt es bisher kaum Vergleichbares. Mr. "Grab ’em by the pussy" Trump lässt einem Korrespondenten, der seinem Beruf nachzugehen versucht, Belästigung vor werfen. Es ist ein Zäsurmoment in Trumpistan, dem Land der verbrannten Erde.

Der amtierende Präsident hat die politische Kultur und den gesellschaftlichen Umgang in den Vereinigten Staaten von Amerika auf einen bisher nie gesehenen Tiefststand gebracht. Doch das Parteiengezänk in Washington wird bereits seit Jahren und Jahr zehnten immer erbitterter. Davon konnte schon Bill Clinton während seiner Amtszeit ein Lied singen. Eine neue Stufe der Unversöhnlichkeit wurde mit dem Aufkommen der Tea-Party-Bewegung, parallel zur Präsidentschaft Barack Obamas, der mit seinem Angebot überparteilicher Zusammenarbeit im Kongress nicht weit kam, erreicht. Und nun eben Trump. Er ist der ungeschlagene Champion des diskursiven Giftmischens. Herablassung und Verachtung sind seine hervorstechendsten Eigenschaften, auf der Aschenbahn in die Antipolitik hat er Heimvorteil. Dort macht ihm niemand etwas vor.

Eskalation ...

Die Klügeren unter Trumps Gegnern haben das verstanden. Schon vor den Zwischenwahlen sagte Obamas ehemaliger Chefstratege David Axelrod, der zwei Präsidentschaftswahlen erfolgreich geschlagen hat, zu Politico: "Eskalation erzeugt Eskalation. Bei den Demokraten gibt es eine große Debatte darüber, wie mit einem völlig entgrenzten Trump umzugehen sei. Er ist bereit, alles zu tun und zu sagen, was seinen Interessen nützt. Das ist wertefreie, amoralische Politik. Manche denken, man müsse Feuer mit Feuer bekämpfen. Aber ich fürchte, dass wir dann alle in einem Flächenbrand umkommen." Und tatsächlich ist der Weg in die Gewalt in dieser vergällten Atmosphäre kurz: In den letzten Tagen des Wahlkampfs wurden Briefbomben an missliebige Gegner verschickt. Der mutmaßliche Täter: ein fanatischer Trump-Anhänger.

Axelrod, der heute unter anderem dem Institut für Politik an der University of Chicago vorsteht, wird selbst von Gegnern ein feines Gespür für Stimmungen im Volk zugestanden. Zivilisiertheit, sagt er, sei ein enorm wichtiges Element in der Politik. Er glaubt, dass sich "die Menschen nicht nach einer demokratischen Version Trumps" sehnen. Vielmehr suchten sie nach jemandem, der das Land aus dem Treibhaus des Hasses herausholen könnte, in dem sich die Vereinigten Staaten nun schon so lange befänden.

Dafür aber brauchte es Partner oder zumindest keine erbitterte Totalobstruktion aufseiten der Republikaner. Und das ist nach diesen Wahlen nicht zu erkennen. Die Grand Old Party war schon bisher in der Geiselhaft des Präsidenten. Mit den Midterms zogen noch mehr Trumpianer ins Kapitol ein. Aus einer Partei, die lange Jahre von den drei Unterströmungen des Fiskal-, Sozial- und Sicherheitskonservativismus geprägt wurde, ist ein Wahlverein für einen vulgären Egomanen ohne jeden Bürgersinn und ohne jedes Amtsverständnis geworden.

Das allerdings scheint bis auf Weiteres niemanden zu stören: Wer in die republikanischen Thinktanks in Washington, D.C., hineinhört, ins Hudson Institute und insbesondere in die Heritage Foundation, wo die meisten von Donald Trumps Einflüsterern sitzen, kann den Eindruck gewinnen, dass der politische Zweck alle Mittel heiligt. Solange Trump die Interessen der Partei durchsetzt, ist sie bereit, ihm alles – wirklich alles – zu vergeben. Minister aus seiner Regierung sagen ganz offen: "Während er das ganze Feuer auf sich zieht, kann ich meine Ziele umsetzen."

... erzeugt Eskalation

Die pragmatische Unversöhnlichkeit und Null-Summen-Mentalität zieht weite Kreise in der US-Gesellschaft. Bereits 20 Prozent der Amerikaner haben heute eine enge Beziehung zu einem Freund oder einem Familienmitglied aufgrund politischer Dif ferenzen gekappt. Und das re nommierte Umfrage-Institut Pew Research hat heuer herausgefunden, dass mehr als zwei Drittel der Amerikaner glauben, dass "ihre Seite" im politischen Kampf öfter verliere als gewinne. Selbst unter Republikanern, die in den vergangenen zwei Jahren immerhin das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses kontrollierten und beinahe uneingeschränkte Macht hatten, waren 53 Prozent der Befragten der Meinung, ihre politischen Wünsche kämen unter die Räder.

Bei den Ansichten darüber, was denn die wichtigen Themen des Landes sind, herrscht folgerichtig ebenso wenig Einigkeit. Noch einmal Pew Research: Den Klimawandel, die großen Einkommensunterschiede und das laxe Waffenrecht etwa sehen jeweils 72, 77 und 81 Prozent bei den Demokraten als wichtig an, aber nur jeweils elf, 22 und 25 Prozent der Republikaner. Beim aktuellen Reizthema illegale Immigration ist es umgekehrt: Das ist für 75 Prozent der Repu blikaner und für nur 19 Prozent der Demokraten ein relevantes Thema.

Diese fortwährende Polarisierung ist die Basis, auf der nun die Maschinerien für den Präsidentschaftswahlkampf 2020 erst richtig anlaufen. Ob sich David Axelrods Analyse auch in den Kampagnen bei den demokratischen Vorwahlen materialisiert, scheint tatsächlich fraglich. Lassen sich die Demokraten aber auf einen Infight auf Donald Trumps Niveau ein, lässt sich jetzt schon sagen, dass die zivilisierte US-Gesellschaft noch mehr in Mitleidenschaft gezogen werden wird, als sie das jetzt schon ist.

Eine der ältesten Demokratien der Welt wäre dann womöglich nicht nur ein Schadens-, sondern ein Abwicklungsfall: Trumpistan, ein Synonym für den Totalschaden der Demokratie. (Christoph Prantner, 9.11.2018)