Sie sind überall. Sie stehen zwischen Rädern und Mülleimern und mitten auf dem Gehsteig. Oder sie werden gefahren, vorsichtig oder rasant auf jeder halbwegs ebenen Fläche. Seit zwei Monaten sind die E-Scooter in Wien. Damals startete Bird als erster Verleiher. Ihm folgte US-Konkurrent Lime, das Berliner Start-up Tier komplettierte das derzeitige Anbietertrio. Seitdem verändern sie die Fortbewegung der Wiener – und geben uns einen Grund, uns zu beschweren, auf Wienerisch: zu raunzen, zu sudern. Und zwar ausgiebig.

1. Sie werden immer mehr

Früher ging's ja noch. Ende September sah man hin und wieder einen seltsamen großen, grünen Roller am Straßenrand stehen. Nun sind die Gefährte an jeder Ecke, lassen kaum mehr Platz für andere Verkehrsteilnehmer. Tatsächlich gibt es mehr Leihscooter. Ende September waren etwa 500 Stück in der Stadt unterwegs, die Anbieter stocken sukzessive auf. Aktuell sind rund 1700 E-Scooter im Umlauf. Doch vollkommen überfahren dürfen sie Wien nicht. Die Stadt verordnete eine Obergrenze: Pro Anbieter sind maximal 1500 Stück erlaubt.

E-Scooter, also Tretroller mit Elektromotor, sind nicht per se neu, privat kann man sie seit Jahren kaufen. Neu ist die Verknüpfung mit dem Sharingmodell via App, dank der jeder Nutzer damit fahren kann.
Foto: Matthias Cremer

2. Sie sind neumodischer Tand

E-Scooter, also Tretroller mit Elektromotor, sind nicht per se neu, privat kann man sie seit Jahren kaufen. Neu ist die Verknüpfung mit dem Sharingmodell via App, dank der jeder Nutzer damit fahren kann. Mobilitätstrends wie dieser poppen immer wieder auf: Bikesharing etwa ist in vielen Großstädten ein Erfolgsmodell, das um die Jahrtausendwende in Frankreich startete. Zehn Jahre danach begann das Floating Carsharing: Modelle wie Drive Now und Car2go, bei denen sich viele Menschen um wenig Geld Autos teilen, ohne an fixe Standplätze gebunden zu sein. Was kommt als Nächstes? Karl-Heinz Posch von der Forschungsgesellschaft Mobilität sagt: "Das autonome Fahren wird schneller kommen, als wir denken."

3. Sie gefährden uns

Spätestens seit eine Achtjährige von einem E-Scooter-Fahrer gerammt wurde und ins Krankenhaus musste, steht fest: Die tun uns weh. Noch gibt es keine Verletzungsstatistik, doch Christian Fialka, Leiter des AUVA-Traumazentrums Wien am Standort Meidling, sagt: "E-Scooter-Unfälle haben etwa dasselbe Verletzungsrisiko wie Fahrradunfälle." Brüche des Schlüsselbeins, von Armen und Beinen, auch Hüftverletzungen sehen Ärzte, laut Fialka, auf Unfallnotstationen häufig.

In Israel, wo E-Scooter schon länger populär sind, wird an Regulierungen gearbeitet. Die Diskussion kam nach dem tödlichen Unfall von Ari Nesher auf, dem Sohn eines israelischen Filmemachers. Er war Mitfahrer auf einem zu schnellen E-Bike. Israels Straßenverkehrsbehörde erhob daraufhin Unfallzahlen zu E-Bikes und E-Scootern und kam auf zehn schwere Unfälle pro Jahr.

4. Sie gefährden ihre Lenker

Erst in der Vorwoche wurde ein E-Scooter-Fahrer aus dem Wienfluss gefischt. Auf dem E-Scooter ist man ungeschützt, trotz der erlaubten 25 km/h. Weil sie bis zu dieser Geschwindigkeit in Wien rechtlich als Fahrrad gelten, darf man die Scooter erst ab zwölf Jahren fahren. Helmpflicht gibt es nicht, sehr wohl aber eine Alkoholobergrenze von 0,8 Promille. Der Platz für den E-Scooter ist der Radweg, da, wo es keinen gibt, die Straße. Die Wiener Polizei bestätigt zwar die Existenz von Gehsteigfahrern, setzt aber auf "Information statt Repression". Und, auch wenn das nicht im Gesetz geregelt ist, alle drei Anbieter raten davon ab, zu zweit auf einem Roller zu fahren – schon allein der Karosserie zuliebe.

5. Sie sind viel zu teuer

Ein Euro Ausleihgebühr und 15 Cent pro Minute mögen nicht die Welt sein, doch wer eine Anbieterapp installiert hat, weiß: Das läppert sich. Ein Car2go, das immerhin den gesamten Komfort eines Smarts bietet, kostet etwa das Doppelte. Für die Anbieter ist das E-Scooter-Geschäft lukrativ. Die Anschaffungskosten rechnen sich bei den derzeitigen Preisen nach ein, zwei Monaten. Die US-Unternehmen Bird und Lime wurden beide 2017 gegründet und sind mittlerweile über eine Milliarde Euro wert. Doch selbst Normalverbraucher können am E-Scooter-Boom mitverdienen: als Charger oder Juicer. So nennen Lime und Bird jene Privatpersonen, die nachts E-Scooter einsammeln. Sie laden die Fahrzeuge zu Hause auf und teilen sie am nächsten Tag wieder aus.

6. Sie sind nicht öko

Tatsächlich ist der leichte Roller ein ressourcensparendes Fortbewegungsmittel. Je weniger Masse in Bewegung gesetzt wird, desto umweltfreundlicher ist man unterwegs. Und der Elektroantrieb kann, muss aber nicht, mit erneuerbarem Strom betrieben werden. Doch mit dem Scooter wird vor allem die "erste und letzte Meile" zurückgelegt: der Weg von zu Hause zum Öffi und vom Öffi zur Arbeit. Der Weg also, den wir in der guten alten Zeit zu Fuß gingen. Ersetzt der E-Scooter aber Autokilometer, wird ein Vielfaches an CO2-Emissionen eingespart, sagt der Schweizer Forscher Marcel Gauch, der untersucht, wie man Autofahrer zum Umstieg auf ressourcenschonendere Fahrzeuge motivieren könnte. "Die sind sehr beratungsresistent", sagt er.

7. Am Ende bleiben sie liegen

Der wachsame Wiener hat die Bilder noch vor seinem inneren Auge: Haufen, ja, Berge von Rädern stapelten sich in der Stadt, wurden an Bäume gehängt und auf U-Bahn-Gleise geworfen. Nachdem zahlreiche kaputte Leihräder liegen geblieben waren, verschärfte die Stadt Wien ihre Regeln. Anbieter zogen sich zurück, die Folge waren noch mehr herrenlose Räder. Tausend davon sammelte die MA 48 im Sommer ein, im Frühling sollen sie verkauft werden.

Droht erneut so ein Fiasko? Die Anbieter betonen, kaputte Roller zu reparieren, anstatt sie liegen zu lassen, im Fall von Lime in einer Werkstatt an einem geheimen Standort – die Konkurrenz soll nicht in die Karten sehen. Bei Bird sorgen sogenannte Bird-Watcher dafür, dass Scooter nicht falsch vor Hauseingängen oder Einfahrten abgestellt werden.

Und wen regen sie dann noch auf?

Am Ende erstaunlich wenige. Die Radlobby Österreich und der ÖAMTC erkennen E-Scooter als neue Verkehrsteilnehmer an. Erstere fordern ein Aufstocken des Radverkehrsbudgets, Letztere, dass E-Scooter-Fahrer sich im eigenen Interesse mit Licht am Rücken sichtbarer machen. Und die Bürger? Beim Wiener Stadtservice gingen bisher nur 24 Beschwerden ein. (Gabriele Scherndl und Karin Pollack, 10.11.2018)