Wiens Kardinal Christoph Schönborn will die "europäische Identität" stärken.

Foto: Wölfl

Gedenken am Belgrader Friedhof.

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Kardinal Schönborn in der Belgrader Kathedrale.

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Die katholischen Kathedrale der Heiligen Jungfrau Maria im Belgrader Viertel Vračar ist bescheiden, bescheiden ist auch die Besucheranzahl an diesem Samstagvormittag, als der österreichische Kardinal mit seinem Bischofsstab einzieht. Etwa 350 Leute sind gekommen. Nur die weißen Mäntel mit dem Roten Kreuz der Angehörigen des Malteser-Ritterordens fallen hier auf und verweisen auf eine historische Dimension. Christoph Schönborn ist in die serbische Hauptstadt gereist, um anlässlich des hundertsten Jahrestages des Endes des Ersten Weltkriegs ein Zeichen der Versöhnung zu setzen. Bereits 2014 wollte er eine ähnliche Veranstaltung in Wien im Stephansdom machen – und auch Vertreter der Familie Habsburg und Princip einladen – doch dies wurde dann nicht realisiert.

Nun in Belgrad, zelebriert er zwischendurch auch in serbischer Sprache, zuweilen hält er sich ans Lateinische. In seiner Predigt versucht er sichtlich der serbischen Geschichtsinterpretation entgegen zu kommen. Das Attentat in Sarajevo sei der Beginn eines Dramas gewesen, das die Welt verändert habe und zu "sinnlosem Morden" geführt habe. Kaiser Franz Josef habe den Krieg erklärt, obwohl Serbien die Bedingungen des Ultimatums aus Wien im Jahr 1914 erfüllt habe. Dem serbischen Außenminister Ivica Dačić, der in der ersten Kirchenbankreihe Platz genommen hat, dürfte diese Erklärweise der Julikrise 1914 gefallen haben.

Schönborn zitiert Heller

Bei Schönborns Predigt geht es aber vor allem um eine Ablehnung des Kriegs als politisches Mittel, um die Trauer aller Mütter über ihre Söhne, die gefallenen Soldaten und um die "giftigen Früchte" des Ersten Weltkriegs, wie der Kardinal den Sowjetkommunismus und den Nationalsozialismus nennt. Der Glaube könne aber verbinden, was "Stolz und Blindheit nationalistischer Verblendung getrennt" habe. Schönborn zitiert daraufhin André Heller, indem er den Begriff "Weltmuttersprache" – wie Heller Mitgefühl nennt – als Maxime menschlichen Handelns nennt. "Im Krieg wird diese Weltmuttersprache zerstört, aus dem Nächsten wird ein Feind, aus dem Bruder ein Gegner" so Schönborn. Konsequenterweise bezeichnet er den Ersten Weltkrieg dann als einen Krieg von "Brüdern" und damit meint er offensichtlich die Europäer.

Das Blut des Ersten Weltkriegs schreie nicht nach Rache, sondern nach Versöhnung, so der Kardinal. Ein Männer-Chor aus Mitgliedern verschiedener Botschafter trägt zu dem Gedenkgottesdienst in dunklen, weichen Stimmen und auf sehr hohem Niveau bei. Bereits am Vortag hatte der Kardinal und Vertreter der katholischen Kirche in Belgrad zu einer Veranstaltung zur "Europäischen Identität" eingeladen. Diese ist in ganz Südosteuropa kaum verbreitet, die meisten Bürger definieren sich hier nicht einmal entlang ihrer Staatsbürgerschaft, sondern sehen sich in erster Linie als Angehörige eines "Volks".

Vertreter des serbischen Volkes

Dieses völkische Denken taucht auch nach der Messe bei der Pressekonferenz von Schönborn und Dačić auf. Während Schönborn über die Bedingungen der europäischen Einigung spricht (eine gemeinsame Geschichtsschreibung, die Akzeptanz von Vielfalt und Einheit und eine gemeinsame Wertebasis), bezeichnet sich Dačić unter anderem als Vertreter des "serbischen Volkes" in Wien, in dessen Namen er dem Kardinal für seine Worte dankt. So ähnlich kennt man das vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, der sich als Vertreter eines Volkes und nicht als Repräsentant einer Regierung sieht. Von anwesenden serbischen Journalisten wird Dačić auch nicht zur europäischen Einigung befragt, sondern zum Dialog mit dem Kosovo.

Schönborn betont, dass die katholische Kirche das europäische Einigungsprojekt, die Europäische Union immer unterstützt habe. Er drückt aber auch seine Sorge über derzeitigen "Nationalismus" und die "zentrifugale Tendenz" in Europa aus. Auf die Frage, wie es möglich sein könne, als Christ die europäische Identität zu stärken, meint er: "Ich sehe uns nicht in erster Linie als Österreicher oder Serben, sondern als Menschen."

Österreichische und ungarische Flagge

Am Belgrader Friedhof, dort, wo österreichisch-ungarische Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg begraben liegen, legen danach Vertreter vieler europäischer Staaten, aber auch der USA und Kanadas, Kränze nieder. Die Sonne liegt wie warmes Gold auf der Szene. Auf einer Seite steht die österreichische, neben der ungarischen Flagge, auf der anderen Seite die serbische, neben der europäischen Flagge. Eine österreichische Militärkapelle schafft einen zarten klanglichen Hintergrund zu der Zeremonie. Die verstorbenen Soldaten der ehemaligen Monarchie werden heute von vielen Europäern betrauert.

Auf der Grabkapelle steht: "Hier endet irdisches Fühlen". Serbische Vertreter treten hier nicht auf. Der österreichische Botschafter Nikolaus Lutterotti redet jedoch von "wahrer Freundschaft" und "wechselseitigem Respekt" zwischen den beiden Staaten und drückt die Hoffnung Österreichs aus, dass Serbien "voll in die EU integriert" werde und auf dem Balkan selbst "frühere Feinde zu Partnern" werden. Der Kardinal scheint zu nicken. (Adelheid Wölfl aus Belgrad, 10.11.2018)