Straßburg/Bukarest – Polen, Ungarn und jetzt auch noch Rumänien: Aus Brüssel kommt massive Kritik an Rechtsstaatsmängeln in einigen EU-Ländern. Am Dienstag zieht die EU-Kommission kritisch Bilanz.

Europas Rechtshüter erhöhen den Druck auf Rumänien, weil sie die Schwächung der Justiz und des Anti-Korruptions-Kampfs nicht länger dulden wollen. Am Wochenende erneuerte der Europarat seinen Appell an die Regierung in Bukarest, den Umbau des Rechtssystems aufzugeben. Für Dienstag wird zudem ein sehr kritischer Bericht der EU-Kommission erwartet. Und auch innenpolitisch gibt es Turbulenzen: Der rumänische Europaminister erklärte im Streit mit Kabinettskollegen seinen Rücktritt. Ob es dabei bleibt, war am Sonntag aber unklar.

Vorsitzwechsel im Jänner

Rumänien soll zum 1. Jänner von Österreich den Vorsitz der EU-Länder übernehmen und rückt damit noch mehr in den Blickpunkt. Denn schon Anfang Oktober hatte die EU-Kommission massive Kritik daran geäußert, dass die sozialliberale Regierung in Bukarest die Justiz umbaue und mit Gesetzesänderungen die Strafverfolgung von Korruption erschwere. Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans sprach von Rückschritten bei Rechtsstaatsprinzipien und drohte mit Konsequenzen.

Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok regte nun in der "Welt am Sonntag" ein Sanktionsverfahren wie gegen Polen und Ungarn an: "Ich fordere die Sozialdemokraten auf, ernsthaft zu prüfen, ob wir im Europäischen Parlament nicht eine Entschließung zur Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens nach Artikel 7 gegen Rumänien verabschieden." Das Artikel-7-Verfahren ist die politisch schärfste Waffe, über die die EU gegenüber Mitgliedstaaten verfügt – und kann im äußersten Fall zum Verlust von Stimmrechten im Ministerrat führen.

"Schritt nach vorne"

Rechtsexperten in der sogenannten Venedig-Kommission des Europarats hatten die Justizreformen der rumänischen Regierung schon im Sommer gerügt und moniert, schon jetzt würden Richter und Staatsanwälte teils von hochrangigen Politikern eingeschüchtert. Nun sagte der Generalsekretär des Europarats, Thorbjörn Jagland, der "Welt am Sonntag": "Es wäre ein wichtiger Schritt nach vorne, wenn Rumänien unsere Empfehlungen zur Rechtsstaatlichkeit und Korruption umsetzen würde."

Die EU-Kommission will am Dienstag ihren jährlichen Prüfbericht zur Entwicklung der Justiz in Rumänien vorlegen. Hohe EU-Diplomaten sagten der Zeitung, er werde "deutlich schlechter ausfallen als in den vergangenen Jahren und gravierende Mängel bei der Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit feststellen". Ein Kommissionssprecher wollte dies am Sonntag nicht kommentieren.

Wachsende Sorge

Timmermans hatte aber schon Anfang Oktober über Rumänien gesagt: "Die jüngsten Entwicklungen sind für die Kommission Grund zur wachsenden Sorge." Sollte sich nichts ändern, werde sich dies im Fortschrittsbericht spiegeln. Diese Berichte gibt es jährlich, weil Rumänien und Bulgarien beim EU-Beitritt 2007 noch nicht alle Standards zur Rechtsstaatlichkeit erfüllten und mit einem sogenannten Kooperations- und Kontrollverfahren herangeführt werden sollten.

Der Streit hat auch eine politische Dimension: Timmermans, selbst Sozialdemokrat, geht wegen Rechtsstaatsmängeln strikt gegen die rechtskonservativen Regierungen in Polen und Ungarn vor und sieht sich nun veranlasst, auch die regierenden Sozialdemokraten in Bukarest abzumahnen. In Rumänien wiederum streitet die dortige Regierung mit dem direkt gewählten konservativen Präsidenten Klaus Iohannis.

Zweifel

Warum Europaminister Victor Negrescu am Freitagabend seinen Rücktritt erklärte, blieb zunächst unklar. Am Sonntag weckte er mit einer rätselhaften Erklärung auf Facebook Zweifel, ob er seinen Posten wirklich aufgibt. Der 33-jährige Politiker gehört der sozialdemokratischen Regierungspartei PSD an. Mehrere Minister sagten rumänischen Medien, bei einer Regierungssitzung am Freitagabend habe es wechselseitige Vorwürfe zu Versäumnissen bei der Planung der EU-Ratspräsidentschaft gegeben. Negrescu genießt einen guten Ruf bei den europäischen Sozialdemokraten – im Gegensatz zu anderen PSD-Spitzenpolitikern.

Negrescu wäre bereits der dritte Minister der Regierung unter Ministerpräsidentin Viorica Dancila, der innerhalb weniger Wochen seinen Hut nimmt. Zuvor waren bereits der Forschungs- sowie der Bildungsminister zurückgetreten. Negrescus politische Zukunft dürfte in den kommenden Tagen geklärt werden, wenn eine von Dancila und PSD-Chef Liviu Dragnea schon seit September angekündigte große Regierungsumbildung ansteht. Als Ablösekandidaten gelten dabei laut rumänischen Medien bis zu zehn Minister. Dragnea selbst hindert eine Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe wegen Wahlbetrugs daran, Regierungschefs zu werden. Derzeit hat er sich in zwei weiteren Prozessen wegen Korruptionsdelikten zu verantworten. (APA, 11.11.2018)