"Polyandrie – Weil ich es mir wert bin" – Odins Frau Frigg ist nur eine von vielen Protagonistinnen in der Comic-Saga "Der Ursprung der Liebe".

Foto: Avant Verlag/Strömquist

Langes Herumreden ist nicht Liv Strömquists Sache. Lieber fällt die schwedische Comiczeichnerin mit aller Brachialgewalt in die Tür, um erst einmal auf die Matte zu spucken. In ihrem heuer erstmals auf deutsch erschienenen Comic-Pamphlet mit dem täuschend zahmen Titel "Der Ursprung der Liebe" steigt sie ohne Umschweife in das Grunddilemma amouröser Verstrickungen ein: Also das, was falsch läuft in der Beziehung zwischen Mann und Frau.

In dicht gedrängten Schwarz-Weiß-Bildern breitet sie aus, warum männliche Unabhängigkeit im Grunde darauf fußt, dass es eine Ehefrau/Freundin/verfügbare Frau im Hintergrund gibt. Warum Mädchen, die in unserer sexistisch-heteronormativen Kultur aufwachsen, ihr Selbstwertgefühl hauptsächlich aus Beziehungen nähren, und was das alles mit einem massiven Mutter- und Vaterkomplex zu tun hat.

Avant Verlag/Strömquist

Als Paradebeispiele heterosexueller Beziehungsstörungen und daraus folgenden Sexismus führt Strömquist die bestbezahlten TV-Comedians der letzten Jahrzehnte vor (Jerry Seinfeld, Charlie Sheen et al.). Über Jahrhunderte sozialisierte und kollektiv verinnerlichte Konstellationen (Frau mit Hang zu verzweifelter Selbstaufopferung, Mann mit Tendenz zu emotionaler Distanz) garniert sie mit den Theorien der Psychoanalytikerinnen Jessica Benjamin und Lynne Layton und den Arbeiten der Soziologin Nancy Chodorow zu psychischen Störungen bei Kindern aus patriarchalen Familien. Das sitzt erst einmal.

Eifersucht und Eigentumsrecht

Wie schon in ihrem Vorgängerwerk, "Der Ursprung der Welt", einer formidablen Kulturgeschichte der Vulva, folgt eine Tour de Force durch die Historie des Topos der romantischen Liebe und ihrer Ausprägungen. Liv Strömquist, Politikwissenschafterin, TV-Moderatorin und eine der wichtigsten feministischen Stimmen Schwedens, packt das Problem unmittelbar bei der Wurzel an.

Woher kommt der Anspruch auf ein sexuelles Eigentumsrecht, wenn man mit jemandem zusammen ist? Wie ist Eifersucht kulturell geprägt? Wie hat sich aus dem wirtschaftlich motivierten Usus der arrangierten Vernunftehe im 19. Jahrhundert die Liebesheirat und das Konstrukt der romantischen Liebe entwickelt? Und was macht das mit uns?

Avant Verlag/Strömquist

Dabei skizziert Strömquist polyandrische Beziehungen (eine Frau heiratet mehrere Männer) in Tibet und frühchristliche Mythologien, zitiert "Beziehungsexperten" wie Seneca und Freud genauso wie Boys II Men-Lyrics. Um dann ihre Schlüsse zu ziehen, zum Beispiel den, dass man die Liebe in Zeiten der Konsumgesellschaft nichts anderes als eine private Mini-Religion ist.

Bei ihrer gnadenlosen Sezierung des politischen und soziologischen Nährbodens dessen, was heute als Liebesbeziehung angesehen wird, läuft Strömquist zu Hochform auf. Das hat vor allem mit ihrem räudigen Stil zu tun, mit der Situationskomik, mit der sie den alltäglichen Liebeswahn offenlegt, dem wir oft genug verfallen sind.

Depression und toxische Beziehung

Denn wenn einem auch immer wieder das Lachen im Hals stecken bleiben, kann man sich das Grinsen kaum verkneifen, wenn Strömquist in ihrer rotzigen Punkattitüde ihr Ensemble aus unförmigen Figuren über Sex, Heirat, Anmache und lächerliche Verhaltensweisen von Paaren parlieren lässt. Dazwischen kann man Britney Spears dabei zuschauen, wie sie im Zuge einer toxische Beziehung komplett abstürzt, das Märchen der Lady Di in einer handfesten Depression endet und Nancy Reagan sich als Siegerin bei der Promi-Pflege-WM behaupten kann.

Avant Verlag/Strömquist

Strömquist knallt einem einen Spiegel vor die Nase und lässt keine offene Wunde aus. Und lässt uns fragen, ob die Idee von der großen Liebe nicht nur ein grober Irrtum ist. Das tut stellenweise weh, ist meistens extrem komisch und ungemein erfrischend.

Ganz im Geiste der Riot Grrl-Bewegung und der Do it yourself-Fanzines der 90er-Jahre arbeitet Strömquist mit den Stilmitteln des Comics, der Collage, der Stand-up-Comedy und einer Typographie, die im Bedarfsfall (also sehr oft) mit großen, fetten Lettern förmlich zum Himmel schreit. Wie schon im Sachcomic "Der Ursprung der Welt", das die Kultur der Scham, die mit den weiblichen Geschlechtsorganen verbunden ist, entmythologisiert, nutzt Strömquist auch hier die vielschichtigen Ebenen des Mediums Comics für feministische Aufklärungsarbeit, die Augen öffnet. (Karin Krichmayr, 2.12.2018)