Wien – Möglicherweise wäre es heutzutage nur konsequent und radikal, sich sämtlichen Verwertungsketten und Abhängigkeiten zu verweigern und seine Musik nur noch gratis auf den Markt zu hauen sowie Gratiskonzerte zu geben. Kohle muss anders reinkommen: Brotberuf, Computerkriminalität, Raubüberfall, Crowdfunding, Betteln.
Außer alten Leuten, die sich CD-Luxusboxen mit Musik drin ins Haus stellen, die sie damals vor 50 Jahren im Kinderwagen gehört haben (von den Beatles morgen mehr), gibt doch 2018 ohnehin kein Mensch mehr Geld für Tonträger aus.
Knapp 20 Euro im Vorverkauf für die britische Punkband Idles bedeutet in einer Welt, in der Konzerte aufgrund der Sache mit den Downloads und CDs mittlerweile schon einmal die Hunderteuromarke übersteigen können, fast schon so etwas wie einen Solidaritätsbeitrag auf einem Benefizkonzert. Bene ist bei den britischen Faulsäcken, die die beinahe rührende Systemverweigerung im Bandnamen festgeschrieben haben, gar nichts. Nach dem Album Brutalism gibt sich das Quintett aus Bristol auch mit den aktuellen Songs von Joy as an Act of Resistance angriffslustig wie eh und je.
Holzen und Hauen
Thematisch geht es um Ausländerfeindlichkeit, Deglobalisierung, trotzigen Zusammenhalt in einer auseinanderbrechenden Zivilgesellschaft, Existenzängste, Verlust und wohl auch den Kampf gegen innere Dämonen und persönliche Tragödien, mit denen Frontmann Joe Talbot in letzter Zeit zu kämpfen hatte. Sein Kind und seine Mutter starben, während Talbot versuchte, sich von seiner Drogensucht zu befreien. Dazu ging es mit der Band rasant von abgefuckten Punk-Kaschemmen aufwärts in Konzerthallen, deren Backstagebereich nicht automatisch mit der Besenkammer gleichzusetzen ist.
Musikalisch gehen die Idles dabei in den Refrains gern den Weg des Malens nach Zahlen. Das bedeutet bratzende Gitarren und bierseliges Gegröle. Allerdings wird das mit einer Wucht vorgetragen, die auch 40 Jahre nach der ursprünglichen Explosion des Punk noch immer nachrückende Jahrgänge im Zeichen widerständiger Musik zu begeistern vermag.
Wirklich interessant hört sich diese unbehauene Musik eher in den Strophen an. Da wird schon einmal im Zeichen des Anfang der 1980er-Jahre historisch nachrückenden Postpunk geklöppelt und geholzt. Songs wie etwa das an The Fall und deren alten Hit Container Drivers erinnernde Stück I'm Scum geraten so zu einem gelungenen Rundumschlag. Widerstand ist 2018 mehr denn je notwendig, auch wenn die Mittel alt sind. (Christian Schachinger, 12.11.2018)