Schätzt die freitonale Improvisation: Pianist Georg Graewe.

Foto: Kurt Rade

Das Festival Wien Modern hat sich heuer thematisch unter anderem dem "Musikrisiko" verschrieben: Künstler, die aus ihrem Jazzverständnis heraus der Improvisation huldigen, sind somit logischer Programmteil. Gedanken in Echtzeit zu entwickeln, kann ja zum riskanten Unterfangen werden. Der deutsche Pianist Georg Graewe passt da jedenfalls ins Festivalkonzept. 1956 in Bochum geboren, ist der Wahlwiener einer der markantesten europäischen Pianisten. Er schätzt die freitonale Improvisation. Beeindruckend, wie er Intensität über unablässig dahindrängende Linearität generiert.

Graewe gilt allerdings nicht nur als Könner des Instant Composing; er vermag seine Ideen auch als Komponist in größere Besetzungen zu bannen. Am Dienstag wird er denn auch bei Wien Modern im Porgy & Bess mit dem Sonic Fiction Orchestra einige Werke uraufführen. Er begibt sich damit zurück in jenes Musikfeld, das er mit seinem Gruben-Klang-Orchester in den frühen 1980er-Jahren erstmals betreten hat und das er mit der Formulierung "Sonic Fiction" umschreibt. Er habe die Bezeichnung "1989 erfunden, es war der Titel der ersten CD meines Trios mit Ernst Reijseger und Gerry Hemingway". Dieser Begriff habe sich "seither, ohne dass ich es damals hätte absehen können, zur ästhetischen Position verdichtet" Konkret: Graewe interessiert der Klang als solcher und "die Darstellung seiner Produktion eher nur beiläufig". Es geht wohl um das echte Gestalten von Material und die potenzielle Entdeckung des bis dato musikalisch Unentdeckten.

Auch soll das Ganze nicht spaßfrei geraten: Das Programm der Formation, welche in dieser Saison im Porgy auch Stageband ist, steht schließlich unter dem Motto "Fortschritt und Vergnügen" und bezieht sich auf einen Satz Robert Musils: "Eine vollkommene Ordnung wäre der Ruin allen Fortschritts und Vergnügens", zitiert Graewe den Dichter. Das Vergnügen beim Sonic Fiction Orchestra wird also durch eine improvisatorisch irritierte Kompositionsordnung hergestellt. Wobei Graewe stilistisch das US-Amerikanische und das Europäische verbindet: "Arnold Schönberg und John Coltrane – immer, wenn ich nicht weiterweiß, befrage ich einen von den beiden. Häufig auch beide." (tos, 12.11.2018)