Der US-Botschafter in Wien, Trevor Traina, hat in einem Interview mit Kurt Seinitz (Kronen Zeitung, 10. 11.) wörtlich erklärt: "Russland machte einen guten Job, gute Beziehungen zu Österreich zu entwickeln. Ich möchte, dass Amerika einen gleich guten Job macht, weil ich Österreich als natürlichen besten Freund Amerikas betrachte." Einleitend sagte er, die jüngsten US-Wahlergebnisse seien "sehr gute Nachrichten für Österreich", weil der Präsident den Senat fest hinter sich habe, etwa für handelspolitische Entscheidungen.

Diese Bemerkungen rufen zwei Anekdoten über Diplomatie in Erinnerung. Den dem Dichter und Diplomaten Sir Henry Wotton (1568-1639) zugeschriebenen Spruch: "Der Diplomat ist ein ehrlicher Mensch, ins Ausland entsandt, um für sein Land zu lügen" und die Bemerkung von Karl Kraus: "Diplomaten belügen Journalisten und glauben es, wenn sie's lesen". Da das Interview sicherlich vor der Bekanntgabe des Spionagekrimis um den Bundesheeroberst aufgenommen wurde, gilt natürlich auch hier in übertragenem Sinne die "Unschuldsvermutung".

Trotzdem ist das Lob für die russischen Erfolge verständlich und berechtigt. In welchem EU-Staat gibt es eine Regierungspartei, die mit der Partei des russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Freundschaftsvertrag über "Zusammenwirken und Kooperation" sowie einen regelmäßigen Informationsaustausch vereinbart hat? Oder deren Spitzenvertreter die Kampagne der separatistischen Brandstifter an der Spitze des serbischen Teilstaates gegen die von einem österreichischen Diplomaten als Hohem Repräsentanten beaufsichtigte Föderation Bosnien-Herzegowina lautstark und im Einklang mit dem Kreml unterstützen? Und wo gibt es einen ähnlichen Fall, dass das russische Staatsoberhaupt der Hochzeit der Außenministerin eines EU-Staates beiwohnt?

Kein Wunder, dass der russische Außenminister "unangenehm überrascht" war und den österreichischen Botschafter öffentlich belehren will, wie man sich zu verhalten habe, "wenn es Fragen an Russland gibt". In der Tat ist kaum anzunehmen, dass Österreich und erst recht das total ausgehungerte Bundesheer für den Militärgeheimdienst GRU oder für die anderen Spionagedienste in Moskau bedeutende Ziele wären. Was immer ein pensionierter Oberst an Informationen auch in dreißig Jahren geliefert haben mag, sind nur Bagatellen, verglichen zum Beispiel mit dem Einfluss von österreichischen Spitzenmanagern, die heute noch im Solde putinnaher russischer Oligarchen stehen. Die Russland-"Versteher" oder Russland- "Freunde" in Politik, Verwaltung und Wirtschaft sind (und nicht nur in Österreich!) heute beinahe so stark, wie während des Kalten Krieges die Freunde Washingtons waren.

Die europafeindlichen Ausbrüche des irrlichternden Präsidenten im Weißen Haus schaffen laufend potenzielle Russland-Freunde. Georgien, Krim und Ostukraine sind eingefrorene und für die Öffentlichkeit kaum verständliche Konflikte. Dagegen werden die handfesten Interessen der Exporteure täglich in den Medien betont. Unter diesen Umständen muss auch das verspätete Aufwachen des lernfähigen Kanzlers ausdrücklich begrüßt werden.(Paul Lendvai, 13.11.2018)