Es kracht noch nicht, aber es knirscht schon. Das Vertrauensverhältnis zwischen Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache ist zweifellos noch gegeben, wird aber zunehmend belastet. Die beiden sind einander ausgeliefert, ganz zwangsläufig: Wenn sie regieren wollen, brauchen sie einander. In den Reihen dahinter wächst aber die Skepsis, ob alles, was vereinbart wurde, und alles, was in der Praxis geschieht, wirklich so toll ist und auf Gegenliebe stoßen muss.

Die FPÖ will ihre Sozialkompetenz (für Inländer) unterstreichen, tut sich aber schwer, das mit der Einführung des Zwölfstundentags oder der Streichung der Notstandshilfe glaubhaft zu machen. Die ÖVP setzt auf den Leistungsgedanken. Jene, die nicht mitkönnen oder nicht mitwollen, bleiben eben auf der Strecke. Noch versuchen die Freiheitlichen, sich und der Öffentlichkeit die anstehende Reform von Arbeitslosengeld und Mindestsicherung schönzureden, aber es ist klar, dass nicht alle von der Reform profitieren werden. Jene, die am Arbeitsmarkt nicht bestehen können, werden mit dem Wegfall der Notstandshilfe weiter unter Druck geraten.

Dafür konnten die Freiheitlichen den Ausstieg aus dem UN-Migrationspakt als Erfolg verbuchen, da haben sie es der Welt und den Flüchtlingen so richtig gezeigt. Vielen, freilich nicht allen in der ÖVP bereitet dieser Affront gegenüber den Vereinten Nationen Bauchweh. Der EU-Abgeordnete Othmar Karas hält das für einen ausgemachten Unfug, ebenso wie Bildungsminister Heinz Faßmann, der seine Partei auffordert, das Ganze konstruktiver anzugehen. Faßmann wiederum gerät ins Visier des Koalitionspartners, weil er das von der FPÖ begehrte Deutschgebot auf den Schulhöfen nicht umsetzen will.

Ein Detail am Rande nur: Unerhört finden es viele Freiheitliche auch, dass sich ÖVP-Fraktionsführer Werner Amon im BVT-Untersuchungsausschuss nicht als bedingungsloser Fan des blauen Innenministers Herbert Kickl erweist.

Mit ihrem Image als Schmuddelkinder, die mit Hingabe auch in den braunen Gatsch greifen, haben die Freiheitlichen offenbar kein Problem, die ÖVP hingegen schon. Es besteht die Gefahr, selbst schmutzig zu werden. Die Republik gedenkt dieser Tage ihres hundertjährigen Bestehens und der Novemberpogrome, da setzen auch freiheitliche Politiker betroffene und staatstragende Mienen auf. Das wirkt scheinheilig: Parallel dazu tummeln sich freiheitliche Politiker auf dem Wiener Zentralfriedhof, um des Fliegerpiloten Walter Nowotny zu gedenken, der in nationalsozialistischen Zirkeln als Kriegsheld verehrt wird. Hier stellen Vertreter einer Regierungspartei ganz ungeniert ihre Sympathie für eine Gesinnung unter Beweis, deren Überwindung anderenorts gepredigt wird.

Das kann der ÖVP nicht gefallen. So angenehm es sein mag, dass sich die Freiheitlichen in der Koalition als gut lenkbar erweisen, so schmerzhaft sollte es für die Demokraten in der Volkspartei sein, dass man mit dem Koalitionspartner auch einen braunen Wurmfortsatz mittransportiert.

Stärke könnte diese Koalition aus eigener Kraft schöpfen: Wenn die ÖVP darauf schaut, dass sich die FPÖ von ihren Kellernazis trennt, und die FPÖ darauf achtet, dass die ÖVP in ihrem Leistungsdenken nicht jene überfährt, die diesem Druck nicht gewachsen sind. Dazu müssten beide Seiten über ihren Schatten springen – was offenbar eine Überforderung darstellt. (Michael Völker, 12.11.2018)