Michelle Obama: "Ich war weiblich, schwarz und stark, was sich für einige Leute nur mit zornig übersetzen ließ."

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Acht Jahre lang musste sie ihre Gefühle hinter der Fassade der makellosen First Lady verbergen. Beim Weißen Haus ließ Michelle Obama einen Gemüsegarten anlegen, rief eine Fitnesskampagne ins Leben und kümmerte sich um Soldatenfamilien. Wie sie über strittige politische Fragen dachte, konnte sie höchstens andeuten – sonst hätte es das konservative Amerika womöglich als Provokation ausgelegt.

Klartext durfte sie schon deshalb nicht reden, weil sofort das Wort von der zornigen schwarzen Frau die Runde gemacht hätte. Wie im Februar 2008, als sie den Siegeszug ihres Mannes Barack mit den Worten kommentierte, zum ersten Mal sei sie wirklich stolz auf Amerika. Worauf ihre Kritiker prompt mit erhobenem Zeigefinger bemerkten, eine wahre Patriotin habe jederzeit stolz zu sein auf Amerika. "Ich war weiblich, schwarz und stark, was sich für einige Leute nur mit zornig übersetzen ließ", schreibt sie in ihren Erinnerungen. Sie hätte diese Leute gern gefragt, was sie am meisten störe: das Weibliche, das Schwarze oder das Starke.

Becoming, Michelle Obamas neues Buch, ist nicht der typische Memoirenband einer First Lady. Es ist kritischer, offener, es liefert Stoff für Kontroversen. Was auch daran liegt, dass im Weißen Haus mit Donald Trump der Gegenentwurf zu Barack Obama residiert und diese First Lady sich kein Blatt vor den Mund nimmt.

Bis Weihnachten wird sie in zehn Städten aus ihrem Buch lesen – in Stadien, nicht in Buchhandlungen. Den Anfang macht Chicago, wo Talk-Queen Oprah Winfrey moderiert.

Chicago, dort ist aufgewachsen. Obama beschreibt bescheidene, aber geordnete Verhältnisse in der South Side. Zu kleine Wohnung, der Vater arbeitet bei den Wasserwerken, auch dann noch, als er bereits an multipler Sklerose erkrankt ist.

Disziplin und Gründlichkeit

Die Mutter bleibt zu Hause; beide legen Wert darauf, dass ihre Kinder, Michelle und Craig, auch im Alltag korrektes Englisch sprechen. Sie klinge wie ein weißes Mädchen, muss sich die zehnjährige Michelle Robinson einmal anhören. Die Disziplin ihres Vaters, schreibt sie, habe sie gelehrt, gründlich zu planen, systematisch zu sein, was sie von ihrem Mann Barack nicht sagen könne. Dessen sonniger Optimismus gehe offenbar davon aus, dass sich die Dinge von selbst erledigen.

Mit Zielstrebigkeit schafft sie es nach Princeton und Harvard, fängt dann in Chicago bei einer renommierten Anwaltskanzlei an. Als sie dort einen Harvard-Studenten namens Barack Obama im Praktikum betreuen soll und ihre Kollegen ins Schwärmen geraten, bleibt sie skeptisch: "Weiße Menschen drehen schon durch, wenn du einen halbwegs intelligenten schwarzen Mann in einen Anzug steckst". Prompt kommt der Hochgelobte am ersten Tag zu spät.

Das alles weiß man bereits aus früheren Interviews, Hollywood hat das sogar verfilmt. Nun aber erfährt die Öffentlichkeit zum ersten Mal von einer Fehlgeburt. Danach habe sie einen "schweren Schlag eigener Unzulänglichkeit" empfunden, wann immer sie eine Mutter mit einem Kind auf der Straße sah, schreibt Michelle Obama. Ein Arzt rät zu künstlicher Befruchtung, die Töchter Malia und Sasha kommen zur Welt.

Als Barack in den Senat von Illinois in Springfield gewählt wird, über drei Autostunden von Chicago entfernt, fürchtet sie, seine Karriere könnte über alles hinwegrollen, was die Familie brauche. Sie suchen eine Eheberatung auf. Als er sich um die Präsidentschaft bewarb, sei sie anfangs dagegen gewesen, blendet sie zurück.

Black-Panther-Rebellin

Im Wahlkampf dann widmet ihr das Magazin New Yorker eine satirisch angehauchte Titelseite: eine Black-Panther-Rebellin mit Flinte, geballter Faust und Afrofrisur – was ängstliche Publicity-Berater veranlasst, ihr Image so weichzuspülen, als wäre sie eine biedere Hausfrau, sonst nichts. Zu keiner Zeit, schreibt die Urenkelin von Sklaven, habe sie sich der Illusion hingegeben, die alten Vorurteile hätten sich mit dem Beschwören von "Hope" und "Change" einfach in Luft ausgelöst. Dass ein schwarzes Paar im Weißen Haus wohnte, sei zwar von Millionen von Amerikanern bejubelt worden, doch bei anderen habe es Ressentiments geschürt – und Trump habe Letzteres ausgenutzt.

2011 stellt sich der Immobilienmogul an die Spitze der "Birther"-Bewegung. Die zweifelt an, dass der Präsident auf US-Boden geboren wurde. Trump will die Geburtsurkunde sehen, fast täglich wiederholt er es, um im Rampenlicht zu stehen – und eine politische Laufbahn vorzubereiten. "Das war natürlich verrückt und engstirnig, die zugrunde liegende Bigotterie und Fremdenfeindlichkeit kaum verhüllt", bringt es die Autorin auf den Punkt. "Aber es war auch gefährlich, bewusst darauf angelegt, die Wirrköpfe und Spinner aufzuwiegeln." Was, wenn jemand mit instabiler Psyche sein Gewehr laden und damit nach Washington fahren würde? Was, wenn diese Person ihren Töchtern nachspüren würde?

Mit seinen lautstarken, leichtsinnigen Anspielungen habe Trump ihre Familie einem Risiko ausgesetzt, schreibt Michelle Obama. Das werde sie ihm nie verzeihen. (Frank Herrmann, 12.11.2018)