Auf den ersten Blick sehen sie aus wie überdimensionale Blumenvasen. Noch sind die neuen Tonamphoren, die gerade angeliefert wurden, leer. Doch schon bald sollen die Behälter literweise mit Wein befüllt werden. Es ist das neueste Projekt der "Renner Sistas". Die Schwestern Stefanie und Susanne Renner sind Winzerinnen aus Gols. Dass sie einmal das Weingut ihrer Eltern übernehmen werden, hätten sie sich vor vielen Jahren nicht gedacht. "Wir haben beide in Wien gelebt und immer gern Wein getrunken. Irgendwann hatten wir die Idee, unseren eigenen Wein zu machen", erzählt Stefanie Renner.

Nachdem Birgit und Helmuth Renner das Weingut seit 1988 erfolgreich aufgebaut haben, wäre es für die Schwestern einfach gewesen, den Betrieb der Eltern weiterzuführen. Doch "einfach" stand nicht auf der Tagesordnung der Renner Sistas. "Uns war von Anfang an klar, dass wir Wein nicht auf konventionelle Weise herstellen wollen. Ich war viel im Ausland unterwegs und habe gesehen, dass Wein auch toll schmecken kann, wenn man ihm nichts hinzufügt." Stefanie Renner spricht von Naturwein, einer Methode Wein zu machen, die von vielen eingesessenen Winzern und Sommeliers noch immer kritisch betrachtet wird.

"Unsere Eltern vertrauen uns"

Gerade in einem Weinland wie Österreich scheint es schwierig, alte Strukturen aufzubrechen. Schließlich hat man hierzulande seit Jahren uniformen Wein produziert, ihn mit Hilfsmitteln geschönt und damit einen ähnlich gleichbleibenden Geschmack garantiert. In der EU sind unzählige Hilfsmittel und Verfahren zugelassen, um – romantisch formuliert – ein bisschen nachzuhelfen. Es verwundert also nicht, dass Kritiker Naturwein oft als fehlerhaft bezeichnen. Birgit und Helmuth Renner, die den Betrieb mittlerweile komplett an die Töchter übergeben haben, stehen aber voll und ganz hinter der Philosophie. "Unsere Eltern erlauben uns, viel im Keller auszuprobieren. Natürlich gibt es immer wieder Diskussionen, aber grundsätzlich vertrauen sie uns", sagt Stefanie Renner. Aber was ist Naturwein eigentlich?

Eine offizielle Definition für Natural Wines gibt es nicht, und doch unterscheiden sie sich klar von konventionell erzeugten Weinen. Unter anderem wird auf Reinzuchthefen verzichtet, der Wein wird spontan vergoren. Die oft trübe Farbe lässt bereits darauf schließen, dass der Wein nicht filtriert oder mit Hilfsmitteln optimiert wird. Man versucht, den Wein nur sehr wenig oder gar nicht zu schwefeln – eine Herausforderung und ein hohes Risiko für die Winzer. Der Wein kann sich durch mikrobiologische Prozesse negativ entwickeln.

Martin Nittnaus nimmt dieses Risiko gern in Kauf, um Naturwein nach seinen Vorstellungen zu produzieren. Der Quereinsteiger studierte zuerst Literatur und Kunstgeschichte, ehe er in den elterlichen Betrieb einstieg. Auch für ihn war von Anfang an klar, dass er einen völlig anderen Weg gehen möchte.

Winzer Martin Nittnaus
Foto: Klaus Pichler

Exportmarkt

Der Erfolg scheint dem Winzer und seinen Kollegen recht zu geben. Vor allem im Ausland fliegt man auf Naturwein aus Österreich. "Die Mengen, die bei uns produziert werden, sind noch überschaubar. Man muss sich aber Weingüter wie Gut Oggau, Tschida oder Muster anschauen. Sepp Muster exportiert seinen Wein in 26 Länder und ist in Japan ein Superstar", sagt Nittnaus. Hierzulande werde es aber noch dauern, bis Naturwein eine breite Akzeptanz findet. "In Österreich sagt einem jeder pensionierte Önologe, wie ein Blaufränkischer schmecken muss. Da gibt es oft nur Schwarz und Weiß. Länder wie Dänemark, die selbst keine Weinnationen sind, wissen spannende Weine viel mehr zu schätzen. Mir gefällt es, dass ich beim Naturwein nie weiß, was mich erwartet. Wenn ich einen Grünen Veltliner aus dem Weinviertel aufmache, habe ich sofort den gewohnten Geschmack mit dem klassischen Pfefferl oder die Stachelbeere beim Sauvignon blanc aus der Steiermark. Bei Naturwein kann ich mich überraschen lassen, weil es geschmacklich keine Grenzen gibt."

Wer noch einen Schritt weiter gehen möchte, trinkt maischevergorene Weine, sogenannte Orange Wines. Die orange- oder bernsteinfarbenen Weine sind eigentlich schon ein ziemlich alter Hut. Seit Jahrtausenden werden ähnlich wie bei der Rotweinherstellung weiße Trauben mit Schale und Stängel einige Zeit auf der Maische belassen, ehe sie in den Tank kommen. Durch dieses Verfahren gelangen unter anderem mehr Farbstoffe und mehr Tannin in den Wein. Manche Orange Wines werden zudem oxidativ ausgebaut. Dabei wird der Wein in luftdurchlässige Holzfässer oder Tonamphoren, wie auch jene der Renner Sistas, gefüllt. Solche Amphoren wurden bereits vor rund 5000 Jahren – vor allem in Georgien – für die Weinherstellung verwendet. Damals vergrub man die Tongefäße in der Erde, um Temperaturschwankungen vorzubeugen.

Steigende Nachfrage

Heute hilft man sich mit modernen Kühlanlagen, wie man sie auch bei Martin Ploder in der Südoststeiermark findet. Ansonsten verlässt sich der überzeugte Naturweinwinzer aber lieber auf die Natur und will sowohl im Keller als auch im Weingarten so wenig wie möglich eingreifen. "Den Charakter eines Weins kann ich nur spüren, wenn ich so natürlich wie möglich produziere. Geschönte und beeinflusste Weine haben kaum Lebensenergie", sagt Ploder, der bereits in dritter Generation Wein produziert.

Obwohl viele Winzer hierzulande ihren Weingarten auf Bio umgestellt haben, wird im Keller oft noch nachgeholfen. Andererseits kann auch ein Nichtbiobetrieb Orange Wine erzeugen. Es lohnt sich also, die Arbeitsweise des jeweiligen Winzers zu kennen. Dass die Nachfrage nach biodynamisch erzeugten Weinen steigt, wird auch auf unzähligen Weinmessen sichtbar. Allein 300 Biowinzer waren dieses Jahr auf der wichtigsten Weinmesse, der Prowein in Düsseldorf, vertreten. Dazu finden unzählige Naturweinmessen statt, die immer mehr Interessierte anziehen. Das war nicht immer so, erinnert sich Martin Diwald. "Meine Eltern haben 1980 als welche der ersten Winzer den Betrieb komplett auf Bio umgestellt. Damals war das wie eine kleine Revolution. Wenn sich Biowinzer damals getroffen haben, dann nur zu Hause, um blöde Redereien zu vermeiden", sagt Diwald, der selbst seit einigen Jahren Naturwein im Weinviertel produziert. "Am Anfang mussten wir erklären, warum wir biologisch arbeiten. Mittlerweile müssen Winzer erklären, warum sie es nicht tun. Wir sind heute keine Nische mehr."

Umdenkprozesse

Auch Matthias Warnung teilt diese Einstellung. Im Kamptal produziert der Winzer mittlerweile rund 30.000 Liter Naturwein im Jahr. Das Natural-Wine-Fieber hat ihn bei einem Auslandsaufenthalt gepackt. "Die Zeit am Weingut Lammershoek in Südafrika hat meine Einstellung und Arbeitsweise sehr geprägt. Die Weine des Kellermeisters Craig Hawkins haben mich so überrascht. Diese Art von Wein habe noch nie zuvor getrunken", sagt Warnung. Als er zurückkam, hat er einige Dinge im elterlichen Betrieb hinterfragt. Bald will er das ganze Weingut auf Naturwein umstellen.

So revolutionär das alles klingen mag, auch bei Naturwein gibt es Grenzen. "Weinfehler dürfen natürlich nicht vorkommen. Wenn ein Wein 'mäuselt' (Anm.: nach Mäuseurin riecht) oder an Nagellackentferner erinnert, ist er defekt. Das kann man nicht schönreden. Es gibt überall Grenzen. Sonst könnte ja jeder Laie Trauben pressen und als Naturwein verkaufen", sagt Martin Nittnaus. Dem Geschmacksspektrum sind hingegen kaum Grenzen gesetzt. Das merkt man, wenn man sich durch die unterschiedlichen Naturweine probiert. Im Moment sieht es jedenfalls danach aus, als wäre Natural Wine mehr als ein kurz anhaltender Trend.

Stefanie Renner

Stefanie Renner
Foto: Klaus Pichler

STANDARD: Wie würden Sie Naturwein beschreiben?

Stefanie Renner: Ein guter saftiger Paradeiser hat so viel Geschmack, dass ich oft nicht mal Salz brauche. Da ist Säure mit Süße und Umami vereint. Das genügt. Und genauso sollte es mit dem Wein sein.

STANDARD: Was reizt Sie am Naturwein?

Renner: Es gibt mehr Interpretationsspielraum, Vielfalt und Überraschung. Und das find ich persönlich viel spannender, als immer im Vorhinein schon zu wissen, was mich erwartet.

STANDARD: Ihr Aushängeschild ist ein Welschriesling. Wie schmeckt der?

Renner: Nach Wildkräutern, Heu, Zitrus, in warmen Jahren oder mit etwas Flaschenreife kommt mehr Frucht hervor. Dann schmeckt man zum Beispiel Maracuja. Durch den Maischekontakt ist er sehr vollmundig und lang, dabei aber nicht belastend.

Renner Sistas
Obere Hauptstraße 97
7122 Gols

Martin Nittnaus

Martin Nittnaus
Foto: Klaus Pichler

STANDARD: Welcher Wein ist Ihr Aushängeschild?

Martin Nittnaus: Mein allererster Jahrgang, Grüner Veltliner Manila 2015. Nicht weil es mein Debüt war, sondern weil ich anfangs total verstört war, wie er schmeckte. Nur dann hat er sich fast metamorphisch gewandelt. Mein Freund Peter sagte mir unlängst, er sei jetzt wunderschön.

STANDARD: Wie würden Sie ihn geschmacklich beschreiben?

Nittnaus: In der Nase eine tolle Blutorangenfrucht, am Gaumen Saftigkeit, Rückgrat durch die Tannine, und trotzdem federleicht durch den niedrigen Alkoholwert. Er vereint die Gratwanderung von Kraft und Leichtigkeit, etwas, was ich eigentlich in jedem Wein suche.

STANDARD: Wie unterscheidet sich die österreichische Naturwinzerszene von anderen Ländern?

Nittnaus: In Österreich nimmt man die Natur im Naturwein ernst, sprich der Großteil der Trauben kommt aus biologischem oder biologisch-dynamischem Anbau. Ich bin nicht sicher, ob dies international gesehen in der Naturweinszene mit solcher Konsequenz durchgezogen wird wie hierzulande.

Martin Nittnaus
Untere Hauptstraße 49
7122 Gols

Manuel Ploder

Manuel Ploder
Foto: Klaus Pichler

STANDARD: Wie heißt Ihr Lieblingswein?

Manuel Ploder: Lassen Sie uns ein Glas "Blanca" trinken und die Natur genießen, statt über Namen und Etiketten von Weinen zu sprechen.

STANDARD: Wie schmeckt der Wein, über den wir nicht sprechen wollen?

Ploder: Waren sie schon einmal in Istrien? Wie sieht es mit Wiesen- und Seenlandschaften in Österreich aus? Im Gewürzbasar beim Asiaten Ihres Vertrauens? Nehmen Sie all das und stellen Sie es sich im Sommer vor, dann haben Sie es.

STANDARD: Welches Essen passt zu diesem Wein?

Ploder: Artischocke, Seetang, Buchweizen, Stör oder Lamm.

Manuel Ploder
Unterrosenberg 86
8093 St. Peter am Ottersbach

Martin Diwald

Martin Diwald
Foto: Klaus Pichler

STANDARD: Wo ist Ihr Lieblingsplatz auf dem Weingut?

Martin Diwald: Die Weingartenhütte von meinem Papa (siehe Bild) ist schon ein spezielles Plätzchen. Sie liegt mitten in den Weingärten, gut versteckt. Man kann die Natur genießen bei einem Glas Wein und kommt dort auf die besten Ideen.

STANDARD: Was macht Naturwein für Sie aus?

Diwald: Naturwein ist ehrlich in der Produktion und im Geschmack. Das muss nicht unbedingt trüb sein oder mega funky. Einfach nichtgekünstelter Wein ohne verfälschende Produktionsmethoden.

STANDARD: Wie sehen Sie die Naturweinszene in Österreich?

Diwald: Ich genieße es, Wein in einer Zeit machen zu dürfen, in der die Menschen sich etwas trauen und Sachen ausprobieren. Vor 20 Jahren wäre das undenkbar gewesen. Naturweine und vor allem die Leute rundherum leisten einen ganz wesentlichen Beitrag zum individuellen Geschmack.

Martin Diwald
Hauptstraße 35
3471 Großriedenthal

Matthias Warnung

Foto: Klaus Pichler

STANDARD: Wo ist Ihr Lieblingsplatz auf dem Weingut?

Matthias Warnung: Ich liebe den Ausblick, wenn die Sonne hinter meinem Keller in Richtung Waldviertel untergeht. Da stammen meine Vorfahren her.

STANDARD: Was bedeutet Naturwein für Sie?

Warnung: Naturwein bedeutet für mich, mehr Respekt meiner direkten Umwelt gegenüber. Es ist eine Herausforderung, bestehende Strukturen zu nutzen.

STANDARD: Ihr Aushängeschild?

Warnung: Der Esper Grüner Veltliner: Er stammt aus den Weingärten, mit denen ich damals angefangen habe zu arbeiten, als ich aus Südafrika zurückgekommen bin.

Matthias Warnung
Kampgasse 9
3550 Gobelsburg

(Alex Stranig, Fotos: Klaus Pichler, RONDO, 16.11.2018)

Weiterlesen:

Weinviertel: Weine, die nicht von der Stange kommen

Wie der Traminer neu erfunden werden soll