Nigel Slater: "Ich liebe es, mich um mein Zuhause zu kümmern."

Foto: © Jonathan Lovekin

Nigel Slater ist der Gott der kulinarischen Entschleunigung. Die Herstellung von Orangenmarmelade beschäftigt ihn einen ganzen Tag lang, ein Festtagsdessert kann schon mal mehrere Wochen Zeit in Anspruch nehmen. Seine Rezepte und Essays sind geprägt von einer heiteren Melancholie: Wasser kocht enthusiastisch, Astern liegen betrunken auf dem Kiesweg, und Walderdbeeren sehen aus wie Diamantsterne. Jamie Oliver nennt ihn ein "gottverdammtes Genie", er selbst sich bescheiden einen "Koch, der schreibt". Und einen, der hinterher aufräumt, schließlich ist Slater bekennender Fan hauswirtschaftlicher Tätigkeiten.

Seit 25 Jahren schreibt der 1958 gebürtige Brite eine wöchentliche Kolumne für den "Observer", außerdem ist er Autor von zehn Kochbüchern. Seine Autobiografie "Toast" wurde 2010 verfilmt und kürzlich als Theaterstück inszeniert. Jetzt ist sein neues Werk "Das Wintertagebuch" erschienen, in dem er die Vorzüge jener Jahreszeit lobt, die viele für eine trostlose halten. Wir treffen den 60-Jährigen an einem sonnigen Samstagmorgen im Garten eines Berliner Literaturcafés.

STANDARD: In Ihren Büchern thematisieren Sie immer wieder Ihren Garten. Wie kann man sich den Garten von Nigel Slater vorstellen?

Nigel Slater: Er ist auf jeden Fall viel kleiner als auf den Fotos. Ich lebe in einem zweihundert Jahre alten Townhouse im Norden Londons, dessen Garten schmal und langgezogen ist. Dadurch, dass ich ihn in verschiedene Zonen unterteilt habe, wirkt er größer. Kennen Sie das Phänomen, wenn man Prominente in echt sieht, und sie sind viel kleiner als erwartet? So erginge es Ihnen, wenn Sie zum ersten Mal bei mir zu Besuch wären.

STANDARD: Jemand, der so viel kocht wie Sie, hat sicher oft Gäste.

Slater: Ich habe seltener Gäste, als man annehmen würde. Weil mein Zuhause zugleich Profiküche und Büro ist, ist ohnehin immer viel los. Ich mag Menschen um mich herum, aber ich mag es auch, wenn sie wieder gehen. An steifen Dinnerpartys finde ich keinen großen Gefallen. Stattdessen genieße ich es, wenn sich alle aus einer großen Schüssel bedienen oder am Gartentisch sitzen. Öfter als sechsmal war das diesen Sommer allerdings nicht der Fall.

STANDARD: Ihre Katzen verwöhnen Sie hingegen mit Vorliebe. Sie sind bekennender Katzenliebhaber. Zu manchen Zeiten waren es über zwanzig. Mit wie vielen Katzen teilen Sie aktuell Ihr Haus?

Slater: Mit keiner mehr. Zuletzt waren es drei, inzwischen sind sie alle im Katzenhimmel. Eine davon ist in meinen Armen verstorben. Kann man besser von dieser Erde gehen?

STANDARD: Die Katzenpflege fällt also weg. Wie sieht Ihre Morgenroutine aus?

Slater: Erst trinke ich Espresso, schwarz, ohne Zucker. Dann fange ich sofort an zu schreiben. Fürs Frühstücken fehlt mir leider oft die Zeit, dabei ist es doch so wichtig. Manchmal liege ich abends im Bett und frage mich, warum ich schon wieder das Frühstück ausgelassen habe. Ein, zwei Stunden nach dem Aufstehen esse ich dann eine Kleinigkeit. Derzeit mag ich am liebsten Joghurt mit Saaten, Nüssen und Früchten, nicht besonders britisch, jedenfalls aus historischer Sicht. Wenn ich Tee trinke, dann ausschließlich grünen. Die ersten fünfzehn Jahre meines Lebens habe ich überhaupt keinen Tee getrunken, und das als Engländer!

STANDARD: Was gab es stattdessen für den jungen Nigel Slater?

Slater: Schwarzen Johannisbeersaft, meine Eltern hielten das für eine gesunde Wahl. Sie hatten keine Ahnung von den Unmengen an Zucker darin. Dazu gab es Müsli, ebenfalls voller Zucker. Kein Wunder, dass ich immer so aufgedreht war.

STANDARD: Sie schreiben, dass Sie "immer etwas von einem Hausmann hatten". Nach dem Bügeln belohnen Sie sich mit alkoholgetränkten Feigen.

Slater: Ich liebe es, mich um mein Zuhause zu kümmern. Ein paar Blumen werten jeden Raum auf. Es gibt für mich wenig Entspannenderes als zu bügeln und dabei Podcasts zu hören.

STANDARD: Sehen Sie sich als männliches Role-Model?

Slater: Das wäre schön. Wie kann es sein, dass manche Väter noch nie die Windel ihres Babys gewechselt haben? Es ist wirklich an der Zeit, dass Männer aufhören zu glauben, Haushaltsarbeit ginge sie nichts an.

Ein Lammgericht aus dem neuen Kochbuch "Das Wintertagebuch" von Nigel Slater.
Foto: jonathan lovekin

STANDARD: Ihr eigener Vater hat sich vorwiegend um seine Pflanzen gekümmert und jedes Jahr zu Weihnachten einen sehr speziellen Truthahneintopf zubereitet. Beim Lesen Ihrer Autobiografie "Toast" bekommt man den Eindruck, er sei ein sehr unberechenbarer Charakter gewesen.

Slater: Ich glaube, er war einfach überfordert. Meine Mutter starb an Asthma, als ich sieben war, mit der doppelten Elternrolle kam er nicht wirklich zurecht, zumal ich kein einfaches Kind war. Ich bin froh, dass ich keine eigenen habe. Mein Bruder, der in Australien lebt, hat fünf oder sechs, die kann ich mir ab und zu ausleihen.

STANDARD: Waren Sie schon einmal in Australien?

Slater: Nein, leider nicht. Ich fürchte immer, das Leben dort könnte zu britisch sein. Außerdem liegen zu viele schöne Orte auf dem Weg dorthin. Japan zum Beispiel, wo ich jedes Jahr einen Monat verbringe. Ich liebe Onsen, die japanischen Hochgeschwindigkeitszüge, die Höflichkeit der Menschen und Gyozas.

STANDARD: Sie sind in den sozialen Medien recht aktiv, posten regelmäßig etwas auf Twitter und Instagram. Was schätzen Sie daran?

Slater: Ich finde, das ist eine wunderbare Möglichkeit, an der Welt teilzunehmen und unmittelbar mit Menschen in Kontakt zu treten. Oft schicken mir Leser Fotos jener Gerichte, die sie nach meinen Rezepten zubereitet haben. Mitunter mit dem Zusatz: "Warum hat es nicht geklappt?" Darauf kann ich sofort reagieren, indem ich sage: "Folge nicht nur dem Rezept, sondern auch deinem Kopf." Das ist doch wunderbar.

STANDARD: Kochen Sie jeden Tag?

Slater: Wenigstens an vier oder fünf Tagen die Woche. Für meine Bücher und die Kolumne muss ich ja ständig neue Rezepte entwickeln und fotografieren. Folglich gibt es eigentlich immer irgendwelche köstlichen Reste in meinem Kühlschrank. Außerdem liebe ich Junkfood. Freitags gehe ich auswärts frühstücken, einmal die Woche abends essen. In London besonders gerne zu "Brat" und zu "Spring". Beides herrlich unprätentiöse Orte, an denen saisonal gekocht wird.

STANDARD: Haben Sie ein Problem mit eitlen Köchen?

Slater: Das Problem ist, dass oft das Ego des Kochs im Vordergrund steht und nicht das, was dem Gast schmeckt. Dabei geht es doch darum, dass der Gast im Restaurant eine gute Zeit haben will.

STANDARD: Stichwort Gläser: Sie schreiben, dass alles ein klein wenig besser schmeckt, wenn man beschwipst ist. Was trinken Sie persönlich am liebsten?

Slater: Champagner! Der macht einfach jeden Moment zu einem besonderen. Wenn ich reise, setze ich mich gerne in Hotelbars und bestelle ein Glas davon, das ist meine selbstauferlegte Regel. Insgesamt trinke ich aber verhältnismäßig wenig. Das liegt nicht am Alter, sondern daran, dass ich schon immer ein Cheap Date war, also jemand, der schnell betrunken wird. Dann halte ich alle um mich herum für meine besten Freunde.

STANDARD: Sie beschreiben die Welt als "totales Chaos" und die Küche als einen sicheren Hafen. Kann Kochen eine politische Dimension annehmen?

Slater: Natürlich kann es das. Jeden Tag entscheiden wir uns dafür, was wir unserem Körper zuführen. Wir können bewusst auf bestimmte Lebensmittel verzichten, wenn wir wissen, dass sie der ökologischen Bilanz schaden.

STANDARD: Leider schmecken gerade diese oft am besten.

Slater: Herrje, ich weiß! Was soll ich sagen: Obwohl ich mir Gedanken mache, was auf meinem Teller landet, steht der Genuss bei mir doch an erster Stelle. Auf Avocados zum Beispiel könnte ich nicht verzichten. Aber wissen Sie, was meine eigentlichen Guilty Pleasures sind? Jene Tea-Cakes mit Schokolade und Marshmallows, die ich als Kind immer gegessen habe. Eigentlich sind sie widerlich, aber sie erinnern mich an glückliche Tage. Und Dosenpfirsiche. Die isst heutzutage niemand mehr, der jünger als achtzig ist.

STANDARD: Ihr neues Buch widmen Sie Ihrem Geschäftspartner James, der einmal zu Ihnen gesagt hat: "Du darfst alt werden, pass nur auf, dass du nie erwachsen wirst." Wie bewahrt man sich sein inneres Kind?

Slater: Indem man neugierig und humorvoll bleibt. Zahlen spielen keine Rolle – ich fühle mich kein bisschen anders als mit 17. Weihnachten ist die perfekte Gelegenheit, sein inneres Kind in sich zu spüren. Während ich ein Glas Champagner trinke und Weihnachtslieder höre, dekoriere ich den Baum. Dann bin ich wieder ein kleiner Junge.

STANDARD: Ihre Liebe zu Süßem ist bekannt. In Ihrem neuen Buch widmen Sie sich auf 16 Seiten dem perfekten Christmas-Cake. An anderer Stelle schreiben Sie, dass Sie sich glücklich schätzen würden, "diese Welt mit einer Kuchengabel in der Hand zu verlassen". Welcher Kuchen wäre Ihre Henkersmahlzeit?

Slater: Eine schwierige Frage! Meine Liebe zum Battenberg-Kuchen ist unerschütterlich. Abgesehen davon liebe ich Christmas-Cake, nicht nur zur Weihnachtszeit. Wissen Sie, manche Leute mögen daran nur den Kuchenteig, die Glasur oder das Marzipan und lassen den Rest stehen. Ich esse alle Bestandteile auf. Oh, und jene Weihnachtsstollen von der Größe eines Neugeborenen, die ich in Wien gekauft habe. Und die Fächertorte im Café Demel.

STANDARD: Das Café Demel kommt immer wieder in Ihrem Buch vor. Was verbinden Sie mit diesem Wiener Kaffeehaus?

Slater: Die Bedienungen dort haben eine so einschüchternde Art. Sobald man jedoch mit ihnen spricht, schmelzen sie dahin. Das Demel ist ein magischer Ort, so magisch wie die Stadt selbst. Alles ist so wunderbar leicht zu Fuß zu erreichen, so mondän und wunderschön. Wenn man ein Stück Schokoladenkuchen mit Schlagobers will, gibt es keinen besseren Ort auf der Welt. Für mich ist Wien eine Winterstadt, schon allein wegen der herrlichen Christkindlmärkte. Alles dort ist handgeschmückt und selbstgemacht, ganz anders als auf britischen Weihnachtsmärkten. (Eva Biringer, RONDO, 4.12.2018)

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