"Mir passiert das oft, dass mir jemand sagt: Das ist aber jetzt ein Vorurteil. Und zu Recht." Martina Fürpass, IZ-Geschäftsführerin.

Foto: Heribert Corn

Das IZ Wien, ehemals Interkulturelles Zentrum, ist seit 30 Jahren aktiv, um Menschen im Umgang mit Vielfalt zu schulen. Vor kurzem hat sich das Zentrum umbenannt: Das Wort interkulturell kommt im Namen nicht mehr vor – es sei nicht mehr zeitgemäß. Was nach Multikulti kommt und warum Diversität ziemlich anstrengend sein kann, erklärt IZ-Geschäftsführerin Martina Fürpass im Gespräch.

STANDARD: Sie haben nach 30 Jahren das Wort interkulturell aus Ihrem Namen gestrichen, es sei nicht mehr zeitgemäß. Warum das?

Fürpass: Es stimmt einfach nicht, dass Menschen aus einem Kulturraum kommen. Nehmen wir den klassischen Türken: Dann hätten wir das Bild, dieser Türke und alle anderen Menschen aus der Türkei seien genau gleich. Es ist viel breiter: Jeder Mensch gehört mehreren kulturellen Kreisen an. Der Mann aus der Türkei ist jung oder alt, hat einen bestimmten Bildungsgrad, kommt vom Land oder der Stadt, ist Künstler oder Arbeiter, ist vielleicht Rapid-Fan – und so weiter.

STANDARD: Dieser Mann aus der Türkei würde sich selbst aber vielleicht anders beschreiben als Sie ihn.

Fürpass: Ja, natürlich beschäftigt man sich damit, wo man herkommt. Aber das Problem ist, dass wir die Menschen, denen man ihre Wurzeln ansieht, oft darauf reduzieren. In unseren Workshops fragen die Leute oft: Wenn jemand eine andere Hautfarbe hat, warum darf ich ihn dann nicht fragen woher er kommt? Die Antwort ist: Weil es nervt. Und weil viele sagen, sie sind von hier, sind hier geboren, also was soll diese Frage? Eine Arbeitskollegin von mir kommt aus Niederösterreich, sie hat zwei Töchter, die eine hat die dunkle Hautfarbe von der Mama, die andere eine hellere vom Papa. Nur die eine wird immer gefragt, wo sie herkommt – obwohl beide dieselben Wurzeln haben.

STANDARD: Welche Vorannahmen sind mit dieser Frage verbunden?

Fürpass: Wir legen unseren Workshop-Teilnehmern Bilder von Menschen vor, drei Männer, einer davon schwarzer Hautfarbe, drei Frauen, eine davon mit Kopftuch. Dann fragen wir: Was macht die Person beruflich? Wir fragen zum Beispiel auch, welche der Personen darum kämpfen musste, heiraten zu dürfen. Alle antworten: Die Kopftuch-Frau oder der Mann mit dunkler Hautfarbe. Dabei ist es der luxemburgische Premier – der ist nämlich schwul.

STANDARD: Hat der offenere Zugang nicht auch den Haken, dass man bestimmte Muster nicht mehr sieht? Töchter in konservativ-religiösen Familien wachsen womöglich mit stärkeren Einschränkungen auf als viele ihrer Altersgenossinnen. Wenn man das ausblendet, lässt man diese Mädchen dann nicht allein?

Fürpass: Ausblenden darf man es nicht. Es geht darum, hinzusehen, was es sonst noch gibt. Ein Mädchen in einem unserer Workshops hat Kopftuch getragen. Sie hat angegeben, sie fühlt sich der Gruppe der Nichtreligiösen zugehörig. Das fand ich spannend. Dieses Mädchen hatte offenbar einen Hintergrund, wo erwartet wurde, dass sie ein Kopftuch trägt, sie selbst bezeichnete sich aber als nicht religiös. Diese Mädchen muss man unterstützen, dass sie auch raus können.

STANDARD: Die Befürworter eines Kopftuchverbots würden sagen: So ein Verbot wäre für so ein Mädchen genau die richtige Unterstützung. Sie könnte sich ihren Eltern gegenüber darauf berufen und sagen: Seht her, ich darf es gar nicht tragen.

Fürpass: Da wäre die Frage, ob die Eltern sie dann teilnehmen lassen. Oder ob sie den Kreis noch enger ziehen und sagen: Du bleibst zuhause oder gehst in eine islamische Schule. Wichtig ist: Man braucht viel Begegnung, auch fürs Sprachenlernen, diese Begegnungsräume muss man zulassen – also durchmischte Kindergärten und Schulen. Auch die Lehrerinnen müssen reflektieren, welchen Gruppen sie angehören. Niemand ist vor Vorurteilen gefeit. Mir passiert das oft, dass mir jemand sagt: Das ist aber jetzt ein Vorurteil. Und zu Recht. Es ist auch Unsinn, dass Kinder noch keine Vorurteile haben. Sie machen uns nach, kriegen Dinge von uns mit und setzen es eins zu eins um. Jeder von uns hat Vorurteile, aber wir müssen sie uns bewusst machen.

STANDARD: Wenn rassistische Anfeindungen zunehmen, ist dann der transkulturelle Zugang überhaupt angemessen? Wenn jemand wegen seiner Hautfarbe angegriffen wird, hilft es ihm nicht weiter, wenn ich ihm sage: aber du bist ja nicht nur schwarz, du bist auch das und das – angegriffen wird er wegen seiner Hautfarbe.

Fürpass: Es geht nicht darum, dass man Dinge ausblendet – sondern dass man die Tatsachen sieht und Menschen nicht reduziert auf etwas, was sie nicht sind.

STANDARD: Was sind Aha-Erlebnisse Ihrer Workshop-Teilnehmer, die keine ausländischen Wurzeln haben?

Fürpass: Viele merken zum ersten Mal, dass ihre Urgroßeltern ja eigentlich auch woanders herkommen. Oder sie kommen drauf, dass sie sich noch nie damit beschäftigt haben, wo ihre Familien herkommen. Andere kommen sich langweilig vor, weil ihre Familie seit Generationen aus Wien kommt.

STANDARD: Wie viel hat Rassismus mit Neid zu tun?

Fürpass: Das hängt davon ab. Man ist zwar nicht neidisch auf die dunkle Hautfarbe. Aber auf das Anderssein, das Stören der Ordnung. Wenn man dann auf Rassismus hinweist, heißt es manchmal: Ich kann nicht alle lieben. Wir sagen dann: Ihr müsst sie auch gar nicht lieben – ihr müsst sie nur respektieren.

STANDARD: Kann es ein Zuviel an kulturellem Mix geben?

Ich glaube, dass man das so nicht sagen kann – weil es ist so wie es ist.

STANDARD: Da würde der Bundeskanzler jetzt heftig widersprechen und sagen: Wir machen die Grenzen zu und schauen, dass es nicht zu viel wird.

Fürpass: Ich glaube aber dass das so nicht gelingt. Wichtig wäre es, zu definieren, was genau uns zu viel wird. Dass es zu viele Religionen gibt? Wir waren ein Vielvölkerstaat, das hat es immer gegeben.

STANDARD: Man hört manchmal diesen Satz: Ich fühle mich in dieser Stadt nicht mehr zuhause. Wie würden Sie damit umgehen?

Fürpass: Ich würde da nachfragen. Die Menschen sprechen meistens von diffusen Gefühlen: "Da stehen die Afghanen am Eck und ich muss vorbeigehen und fühl mich unwohl." Wenn die betrunkenen Österreicher am Eck stehen, habe ich auch ein ungutes Gefühl. Da muss man fragen: Was ist passiert? Kennst du wen, dem was passiert ist? Haben sie dich angesprochen, hast du damit Erfahrungen? Es können ja alte Erfahrungen sein. Und dann nachfragen: Kann man es vergleichen? Aber nie sagen: Du darfst keine Angst haben. Mann muss nachfragen und schauen, wo die Angst ist. Und im besten Fall Begegnungsräume schaffen. Angst hat man immer vor dem Unbekannten.

STANDARD: Parteien, die das Jahr 2015 als traumatisches Erlebnis verkaufen, werden gewählt. Wie ordnen Sie das ein?

Fürpass: Das ist eine sehr diffuse Geschichte, die in den Medien so gebracht wird. Ja, es waren 2015 viele da, das stimmt. Und was war die Bevölkerung? Hilfsbereit. Viele waren am Bahnhof, haben geholfen, sich engagiert. Irgendwann hieß es: Jetzt sind es zu viele. Aber das heißt es auch heute – dabei kommen viel weniger Menschen, und viele werden wieder abgeschoben. Trotzdem reitet man drauf herum und macht es immer zum Thema. So entsteht dieses diffuse Gefühl. Viele kleine Orte waren ja froh dass jemand kommt, weil sonst der Ort ausstirbt. Und die Bevölkerung hat vieles abgefangen.

STANDARD: Ist die Zivilbevölkerung allein gelassen worden?

Fürpass: Die Zivilbevölkerung hat jedenfalls rascher reagiert und solidarischer unterstützt als der große Apparat. (Maria Sterkl, 21.12.2018)

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