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Vor allem junge Wählerinnen und Wähler sind gegen den Brexit.

Foto: Reuters / Clodagh Kilcoyne

London/Wien – Es ist die bisher umfangreichste Erhebung zur Meinung der Briten über den Brexit – und doch zeigt sie in weiten Teilen ein gewohntes Bild. 20.000 Menschen hat das Umfrageinstitut Survation im Oktober zu ihren Ansichten befragt. Die Forscher haben dabei herausgefunden, dass diese sich in den vergangenen zwei Jahren wenig geändert haben. Wer einst für den Brexit war, will mit großer Wahrscheinlichkeit noch immer, dass Großbritannien die Europäische Union verlässt. Die Ansichten individueller Wähler zeigen sich, wie es heißt, weitgehend unverändert.

Rund 50:50 würde es demnach stehen, wenn genau jene Wahlberechtigten wieder an die Urnen schreiten würden, die schon 2016 abgestimmt haben – und alle jene davon, die laut eigener Auskunft "unsicher" sind, zu Hause blieben.

Darauf baut die Erhebung auf – und kommt dann zu einem scheinbar paradoxen Schluss: Würde am kommenden Dienstag noch einmal über "Remain" und "Leave" abgestimmt, wäre das Ergebnis nicht einmal besonders knapp. Rund 54 Prozent der Wählerinnen und Wähler würden sich für einen Verbleib bei der Brüsseler Gemeinschaft entscheiden, nur 46 wären für den Austritt. Denn zu einem neuen Referendum gingen eben nicht genau jene, die das schon einmal getan haben. Die Wählerbasis wäre eine andere.

Von Brexit auf die Bahre

Ausgelöst wird der Schluss, der sich mit ähnlichen Erhebungen des Instituts You Gov auf geringerer Stichprobengröße deckt, durch ein simples biologisches Faktum: Der Brexit hatte seine größte Unterstützerzahl in der damals ältesten Wählergruppe, der EU-Verbleib die meisten Freunde unter den jungen und ganzen jungen Wählerinnen und Wählern. Anders gesagt: Es sterben jeden Monat mehr Brexit-Befürworter als nachwachsen. Umgekehrt verhält es sich bei den EU-Freunden: Ihr Anteil ist in der Alterspyramide ganz unten am größten: dort, wo die 18 bis 25 Jahre alten Stimmbürger zu finden sind und jene, die zum ersten Mal überhaupt an die Urnen schreiten.

Innerhalb von zwei Jahren kann das die Gewichte durchaus verschieben. Das Institut You Gov beziffert das Ausmaß dieser "biologischen Pro-EU-Bewegung" allein mit 1,5 Prozentpunkten. Die Daten von Survation halten den Wandel für noch etwas stärker. Das gesamte Ausmaß des angeblichen Stimmungsumschwungs lässt sich dadurch freilich nicht erklären, immerhin hatten 2016 knapp 51,9 Prozent der Briten für den Austritt gestimmt. Eine Bewegung von nur 1,5 Prozentpunkten würde allein also nicht einmal ganz reichen, um die Entscheidung abzuändern.

Fehleranfällige Methode

Und auch dann, wenn man all jene wenigen Wählerinnen und Wähler dazurechnet, die das Lager gewechselt haben oder nun unentschlossen sind, käme man nur zu einem knapperen Ergebnis von über 51 Prozent für Remain. Und an dieser Stelle kommt jenes Element zum Tragen, das wohl für die meiste Unsicherheit sorgt: die Wahlbeteiligung. Laut der Survation-Studie würden diesmal nämlich viele Menschen zu den Urnen schreiten, die ihnen zuletzt ferngeblieben waren.

Das Institut, das sich auf eigene Regressionsrechnungen und Ergebnisse der Unterhauswahlen 2017 stützt, geht davon aus, dass mehr Junge und mehr besser Gebildete abstimmen würden, die Beteiligung Älterer und weniger Gebildeter hingegen leicht zurückginge. Sie würden den Rest der Stimmen ausmachen. Freilich: Schätzungen über Beteiligung gelten gemeinhin als schwierigster Teil von Umfragen. Sie waren es nicht zuletzt, die 2016 zu der falschen Voraussage führten, die Briten würden für den EU-Verbleib stimmen. Die Fehler von damals legen nahe, auch diesmal Umfragen als das zu behandeln, was sie sind: vorsichtige Abbildungen aktueller Meinungen – und nicht exakte Vorhersagen für die Zukunft. (Manuel Escher, 13.11.2018)