Journalistinnen demonstrieren in Sarajevo für mehr Schutz vor Gewalt.

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Wer seine demokratischen Rechte in Bosnien-Herzegowina ausübt, kann mitunter seinen Job verlieren. Wie im Sozialismus sind im heutigen Bosnien-Herzegowina Gehorsam und Parteitreue angesagt. Wer Bürgerrechte und einen professionellen Staat fordert, kann Probleme bekommen. Laut der NGO Gerechtigkeit für David wurden etwa zehn Personen, die in den vergangenen Monaten in Banja Luka für mehr Rechtsstaatlichkeit demonstriert hatten, mittlerweile versetzt, zum Teil auf schlechtere Positionen, zwei wurden entlassen – neun von ihnen hatten in Institutionen des bosnischen Landesteils Republika Srpska gearbeitet.

Die Tatsache, dass sie demonstriert hatten, wurde dabei nicht als Grund für die Versetzung genannt. Doch es scheint kein Zufall zu sein, dass kurz nach den Wahlen ausgerechnet Amtspersonen, die sich besonders engagiert haben, mit Versetzungen konfrontiert sind. Unter ihnen ist Vladinka Tomičić Milašinović. Sie arbeitete seit 2005 im Innenministerium der Republika Srpska und ist Rechtsanwältin. "Am 16. Oktober 2018 wurde ich mit der Begründung versetzt, dass ich aufgrund des erwarteten 'Arbeitsumfangs' am 17. Oktober 2018 in die Verwaltung von Prijedor gehen soll", erzählt sie.

"Rechtswidrige Behandlung"

Die Versetzung hat bei ihr große Ängste ausgelöst, weil sie für sie als alleinerziehende Mutter weit mehr bedeutet als nur einen Jobverlust. Sie muss schließlich für ihren Buben sorgen und kann nicht so einfach ins 60 Kilometer entfernte Prijedor umziehen. Auffällig ist, dass auch ein anderer Kollege, der sich offen für die Gruppe Gerechtigkeit für David ausgesprochen hatte, nach Prijedor versetzt werden soll.

Tomičić Milašinović will aber kämpfen. "Das ist eine rechtswidrige Behandlung, weil es eine Strafe für die öffentliche Äußerung von Meinungen und Überzeugungen darstellt", kritisiert sie. "Die verfassungsmäßige Ordnung der Republika Srpska beruht schließlich auf der Garantie des Schutzes der Menschenrechte und Freiheiten." Tomičić Milašinović erzählt zudem, dass sie vor ihrer Versetzung von ihren Kollegen "Sorosevka" genannt wurde – eine Anspielung auf eine geläufige Verschwörungstheorie auf dem Balkan, wonach Bürger, die dem Open-Society-Institut von George Soros nahestehen sollen, die Regierung stürzen wollen.

Reform von Polizei und Justiz

Offensichtlich geht es um Einschüchterung. "Einige Kollegen haben mir sogar gedroht, mich beim Minister für meine Unterstützung für Gerechtigkeit für David zu melden", erzählt sie. Die Bewegung Gerechtigkeit für David ist eine der wenigen Bürgerinitiativen in Südosteuropa, die eine Reform von Polizei und Justiz fordern. Doch bislang haben weder die EU-Delegation noch einzelne EU-Staaten die Bewegung unterstützt, obwohl die EU-Kommission in ihrem Strategiepapier deutlich machte, dass Südosteuropas staatliche Strukturen von privaten oder parteilichen Interessen unterlaufen sind. Erstmals wurde heuer der Begriff "state capture" verwendet.

Die Bürger in Südosteuropa leiden darunter, dass man Gutachten und Urteile kaufen kann, dass die Zugehörigkeit zu einer Familie oder Partei entscheidend ist, aber nicht unbedingt das Gesetz. Kürzlich machte auch der Hohe Repräsentant von Bosnien-Herzegowina, Valentin Inzko, vor dem UN-Sicherheitsrat darauf aufmerksam. Er sprach von einer "tiefverwurzelten öffentlichen Enttäuschung über das Justizsystem".

Mutinjektion durch Inzko

"Bosnien-Herzegowina scheint nicht in der Lage zu sein, die Korruption zu bekämpfen und mit der organisierten Kriminalität umzugehen", sagte Inzko. Er sprach direkt die Organisation Gerechtigkeit für David und die monatelangen Proteste in Banja Luka wegen des "verdächtigen Todes" von David Dragičević an. "Der Fall dieses jungen Studenten muss dringend gelöst werden, und ich werde Ihnen erneut über diesen Fall berichten." Er sei symptomatisch für den Zustand der Rechtsstaatlichkeit. Den Demonstranten hat Inzkos Rede Mut gemacht weiterzumachen.

Seit Mitte März kommen jeden Tag um 18 Uhr hundert bis zweihundert Bosnier auf den Hauptplatz von Banja Luka, um die Aufklärung des Todesfalls zu fordern. Dragičević verschwand in der Nacht vom 17. auf den 18. März, zuvor war er noch in einigen Lokalen gesehen worden. Am 24. März wurde er mit zahlreichen Wunden tot in einem Abwasserkanal mitten in der Stadt gefunden. Auf der Pressekonferenz der Behörden, die nach dem Fund des Toten einberufen wurde, wurde sowohl die falsche Todesursache (ein Unfall) angegeben als auch widersprüchliche Angaben dazu gemacht, wie lange Dragičević im Wasser gelegen war.

Dragičević wurde außerdem kriminalisiert: Ihm wurde unterstellt, in besagter Nacht einen Einbruch begangen zu haben, zudem wurde er von den Behörden als Drogensüchtiger dargestellt, der LSD genommen habe. All diese Versuche, das Verbrechensopfer zu diskreditieren, stellten sich allerdings als falsch heraus. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 14.11.2018)