Propaganda-Textpassagen als Kunstobjekte: Hannes Priesch thematisiert Sprache und Politik in seinem Projekt "1000-jährige Bibliothek".

Foto: Priesch

Insgesamt 12,4 Millionen Exemplare wurden von "Mein Kampf" gedruckt, bis heute ist Adolf Hitlers Propagandaschrift das meistverkaufte Autorenbuch deutscher Sprache. Nach 1945 rutschte das Buch aus der deutschsprachigen Öffentlichkeit unter die Ladentische, erst seit 2016 liegt eine wissenschaftlich umfassend kommentierte Ausgabe vor. Sie schaffte es sofort auf die "Spiegel"-Bestsellerliste. Das anhaltende Interesse an "Mein Kampf" darf nicht überraschen. Das in den 1920er-Jahren verfasste Buch ist eine der zentralen Schriften des Nationalsozialismus, in der Hitler seine Weltanschauungen und programmatischen Ziele artikuliert und zu einer menschenverachtenden rassistischen Ideologie zusammenführt.

Antisemitische Verschwörungstheorien, Vernichtungsfantasien und die Forderung nach der Eroberung von "neuem Lebensraum für das deutsche Volk" bestimmen die Argumentation der Propagandaschrift ebenso wie später die Taten des nationalsozialistischen Terrorregimes. Der bildende Künstler Hannes Priesch nimmt die menschenverachtende und totalitäre Sprache, die durch "Mein Kampf" ein Massenpublikum erreichte, zum Ausgangspunkt für sein Ausstellungsprojekt "1000-jährige Bibliothek", das ab heute, Mittwoch, an der Fachbereichsbibliothek Soziologie und Politikwissenschaft der Universität Wien zu sehen ist.

Reflexion und Sensibilisierung

Priesch, der schon in früheren Arbeiten Texte zum Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung machte, vervielfältigte Textpassagen aus "Mein Kampf" durch Handsiebdruck und stellt daraus Buchobjekte her, die nun in Form einer Installation präsentiert werden. "Es ist ein Set von elf Büchern, die inhaltlich identisch sind, deren Umschläge aber verschieden gestaltet wurden", sagt Priesch. Ihm geht es unter anderem darum, die inhaltliche Enge darzustellen, die die Diktatur mit sich brachte: Während die Informationsfreiheit und die Bandbreite an Meinungen immer weiter eingeschränkt wurden, traten im öffentlichen Raum plötzlich überall ein und dieselben Inhalte in den Vordergrund – höchstens die Verpackung unterschied sich noch.

Ziel der Ausstellung ist es auch, den tabuisierten, mit Mythen überfrachteten Gegenstand "Mein Kampf" einer neuen Untersuchung und Reflexion zugänglich zu machen und für die Sprache totalitärer Tendenzen und menschenverachtender politischer Strategien in der Gegenwart zu sensibilisieren. Besucher der Ausstellung können die Objekte in die Hand nehmen, darin blättern und lesen. Daneben gibt es auch einen ausgesuchten wissenschaftlichen Handapparat der Fachbereichsbibliothek.

Begleitet wird die Ausstellung, die bis Februar 2019 gezeigt wird, von einer Veranstaltungsreihe zum Thema Sprache und Politik. Am Eröffnungsabend stehen Beiträge von Politikwissenschaftern, eine Lesung und ein Gespräch mit Priesch auf dem Programm, an zwei weiteren Abenden sind Vorträge der Journalistin Ingrid Brodnig über Kampfbegriffe und Hass im Internet sowie der Sprachwissenschafterin Ruth Wodak unter dem Titel "Politik mit Angst und/oder Hoffnung" geplant. (David Rennert, 14.11.2018)