Neues Personal zu finden und altes gehen zu lassen, ist in der Wirtschaft üblich. Die Prozesse jedoch wandeln sich. Mit der Digitalisierung hält Schnelllebigkeit Einzug in das Recruiting und auch Bewerber müssen mit der Zeit gehen. Wer den Anschluss verliert, verspielt auf beiden Seiten Chancen. Der Mensch als analysierbare Ware, die aus einem großen Angebot gewählt werden kann, ist auf sein Engagement angewiesen.

Erfolgreich ist, wer sich gut präsentiert

Eine Reise um nur wenige Jahre zurück, offenbart die Unterschiede früherer und heutiger Bewerbungsprozesse. Insbesondere im Bereich der Bewerbungsschreiben hat sich viel getan. Auf der Suche nach freien Stellen sind Frauen und Männer hohem Konkurrenzdruck ausgesetzt, denn in nahezu allen Branchen herrscht ein Überhang an Bewerbern. Lediglich spezialisierte Fachkräfte mit langjähriger Berufserfahrung können sich heute noch aussuchen, für wen sie arbeiten möchten.

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Für alle anderen gilt: Anschreiben und Lebenslauf sind Visitenkarten, die der Personalverantwortliche schnell sichten können muss. Überzeugen sie binnen weniger Sekunden nicht, platzt der Traum von der neuen Arbeitsstelle. Was aber können Bewerber tun, die aus der breiten Masse hervorstechen und zu Gesprächen eingeladen werden wollen?

Die Antwort ist gleichermaßen simpel wie kompliziert: Auf Originalität und Kreativität kommt es an. Der Mensch muss sich in der heutigen Zeit mit Worten darzustellen wissen. Phrasen und Standard-Floskeln in Anschreiben sind längst nicht mehr gefragt. Zu häufig lesen Personalverantwortliche Dinge wie "Mit großem Interesse habe ich...", oder "Hiermit bewerbe ich mich...", weswegen schon der Einstieg in das Bewerbungsschreiben über Wohl und Wehe entscheidet. Auf rhetorisches Geschick, gute Lesbarkeit und außergewöhnliche – jedoch nicht kuriose – Formulierungen kommt es an. Einladungen zum Bewerbungsgespräch erhalten jene, die neugierig machen. Mancher Bewerber geht inzwischen sogar gänzlich neue Wege und legt sich eine persönliche Website an oder bucht Plakatwände, um Aufmerksamkeit zu wecken.

Auch bei Lebensläufen gilt inzwischen: Einfach so per Textverarbeitung erstellte tabellarische Listen sind langweilig. In vielen Branchen vor allem kreativer Natur wird der Lebenslauf gleich zur Arbeitsreferenz. Designelemente und grafische Darstellungen finden sich in den Mustervorschlägen unzähliger Tools und Bewerber-Netzwerke.

Aus der langweiligen tabellarischen Liste ist inzwischen eine Infografik geworden; für den Bewerber ein Werbeblatt, um sich und sein Angebot besser zu verkaufen.

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Die klassische Bewerbungsmappe ist ein Auslaufmodell

Ein weiterer, entscheidender Punkt im Bewerbungsverfahren ist die Form der eingereichten Unterlagen selbst. Wo früher noch auffällige Mappen empfohlen wurden, die am besten dreifach aufklappbar sein sollten, verlangt die Human Resources Abteilung heute Mut zur Digitalisierung. Aus Gründen der Nachhaltigkeit und Effizienz setzt die Wirtschaft zunehmend auf Online-Bewerbungen oder wenigstens das Einreichen per Mail.

Für den Bewerber selbst bietet das Vor- und Nachteile. Er kann keine zusätzliche Aufmerksamkeit mehr generieren, wenn er eine gelbe statt einer dunkelblauen Mappe wählt und auch das Einreichen optimal gepflegter Unterlagen ohne Knicke und Flecken gehört zu Tipps aus einer nicht-digitalen Zeit. Inzwischen flattern Bewerbungen im Anhang von Online Formularen oder E-Mails als PDF ins Haus. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal also fällt weg, weswegen sich Bewerber umso intensiver auf die Inhalte ihrer Unterlagen konzentrieren müssen.

Das Einreichen digitaler Bewerbungen liefert jedoch einen entscheidenden Vorteil. Alle Branchen nämlich sind heute von der Digitalisierung betroffen. Bei der Ausbildung im Einzelhandel gibt es sogar den neuen Schwerpunkt "digitaler Verkauf". Mehr denn je sind Unternehmen darauf angewiesen, Mitarbeiter zu beschäftigen, die im Hinblick auf digitale Themen keine Berührungsängste zeigen. Eine gut gestaltete Online-Bewerbung liefert erste Hinweise hierauf. Der heutige Bewerber kann mit ihr bereits zahllose Konkurrenten – vor allem jene, die noch auf Papier setzen –  hinter sich lassen.

Recruiting kostet Geld, Unternehmen wollen sparen

Die Digitalisierung eliminiert den Müßiggang in der Wirtschaftswelt. E-Mails reisen binnen Sekunden um die Welt, Konferenzen werden am Bildschirm abgehalten und die Cloud erlaubt Zugang zu Informationen von jedem nur denkbaren Standort aus. Auch das beeinflusst das Personalwesen, denn viel Zeit in den Bewerbungsprozess zu investieren, lohnt sich längst nicht mehr. Hier gewinnen nur Bewerber, die Persönlichkeit und Expertise auf kleinstem Raum bündeln können, denn Zeit für Analysen und eingehende Gespräche oder gar Rückfragen bleibt nicht.

Leere Stühle in Abteilungen schnell wieder besetzen zu können, ist überlebenswichtig für Unternehmen. Mit jeder fehlenden Arbeitskraft sinkt die Produktivität, Aufgaben müssen auf bereits ausgelastete Schultern verteilt werden und Lücken im Know-how wirken wie Schlaglöcher in der internen und externen Kommunikation. Der Mensch als Rohstoff hält ein Unternehmen folglich genauso am Laufen wie Materialien in der Produktion das Fließband füllen. Versiegt die Quelle, oder kommt es zu einem Engpass, leidet wie Wirtschaftlichkeit.

Sich an die Schnelllebigkeit des Recruiting-Prozesses anpassen zu können, gehört daher zu den Grundvoraussetzungen für Bewerber. Bereits eine zu spät beantwortete Mail kann sie die Position an der Spitze der Anwärter kosten. Ständige Erreichbarkeit und die Nutzung moderner Kommunikationskanäle sind notwendig, um konkurrenzfähig zu bleiben. Diese Entwicklung fördern auch Systeme, die Unternehmen heute für ihre Recruiting-Prozesse nutzen. Bewerber lassen sich per Drag-and-Drop sortieren, Ausschreibungen mit nur einem Klick in verschiedenen Medien veröffentlichen und Absagen werden lange schon nicht mehr persönlich verfasst. Automatisierung als Schlagwort im Personalwesen birgt das Risiko, keine Zeit mehr für die Beleuchtung von Persönlichkeit zu haben. Wer sich holprig präsentiert, verliert den Anschluss.

Kanäle bei der Stellensuche: Die Digitalisierung stößt den Wandel an

Nur wenige Jahre ist es her, dass österreichische Unternehmen ihre vakanten Stellen ausschließlich in Zeitungen veröffentlichten. Mehr brauchte es auch nicht, um Aufmerksamkeit zu generieren. Auf eine Stellenanzeige alleine meldeten sich Hunderte von Bewerbern, aus denen gewählt werden konnte. Von Begriff wie "High Potentials" oder "Digital Natives" war noch lange keine Rede. Genau nach ihnen suchen Formen nun aber. Nach Menschen, die die Online-Welt nicht scheuen und die weitere Digitalisierung im Unternehmen ohne kostspielige Basis-Weiterbildungen vorantreiben können.

Die Suche also hat sich ebenfalls verlagert. Soziale Netzwerke und Online Plattformen sind die Orte, an denen Unternehmen auf all jene hoffen, denen im Thema Internet, Automatisierung und E-Commerce nicht mehr viel beigebracht werden muss. Auch die Erhöhung der Reichweite einer Stellenausschreibung spielt eine Rolle, denn wenngleich Unternehmen nach den potenzialreichsten Mitarbeitern suchen, ist deren tatsächlicher Anteil in der Bewerber-Flut gering. Die Digitalisierung erhöht den Zustrom an Bewerbungsunterlagen, was schnelles Aussortieren, Sichten und Analysieren erfordert. Hier tun Systeme mit einfachen Klick-Lösungen weiterhin ihr Übriges, denn so schnell Ausschreibungen publik gemacht werden können, so zügig fällt ein Großteil der Bewerber durch das individuelle Raster.

Fazit: Digitalisierung muss im Kopf stattfinden

Es stimmt also, dass die zunehmend digitalen Unternehmensprozesse auch vor dem Recruiting nicht Halt machen. Dass Bewerber mit dieser Entwicklung schon vor dem ersten Gespräch Schritt halten und sich zusätzlich auf den richtigen Plattformen und Kanälen aufhalten müssen.

Ob der Mensch im Rahmen der Digitalisierung zum anonymen Rohstoff verkommt, bleibt eine Frage der Entwicklung. Weiterhin nämlich werden auch im Charakter des Bewerbers liegende Soft Skills wie Motivation, Team- und Kommunikationsfähigkeit schlagende Argumente bleiben. Lediglich die Zeit, um diese zu erkennen, schwindet im Zuge der Schnelllebigkeit. Wer jedoch auch im Privaten keine Angst vor Digitalisierung hat, in Sachen Form sowie Format mit der Zeit geht und zeitgleich in Bildung als auch Erfahrung investiert, bleibt attraktiv für die Wirtschaftswelt. (Christian Allner, X.11.2018)

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