Das Gebäude der Chopard-Uhrenmanufaktur in Fleurier.

Foto: Chopard

Die industrielle Seite der Werkefertigung kann man nur wenige Hundert Meter von der Manufaktur entfernt erleben.

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Dekor und Technik: die Architektur eines L.U.C-Werks aus der Haute-Horlogerie-Linie von Chopard.

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Hart im Nehmen muss ein Zeitmesser für den Erwerb der Qualité Fleurier sein. Zu den Belastungstests gehören auch Schläge mit dem Fallhammer.

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Chopard L.U.C XP Esprit de Fleurier Peony: Ein Beispiel für "Fleurisanne", einer typischen, aus Fleurier stammenden Art der Gravur. Der Graveur gestaltet und graviert die Motive nicht wie üblich "flach", sondern betont sie zusätzlich, indem er Material abträgt, um die Linien des Musters deutlicher hervortreten zu lassen.

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Die Entscheidung, nur noch 100 Prozent ethisches Gold für Schmuck und Uhren zu verwenden, bringt einen höheren Einkaufspreis und eine Umstellung der Produktion mit sich.

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Auf dem Parkplatz geht's rund. Es summt und brummt im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Chopard-eigenen Bienen sind an diesem ungewöhnlich milden Genfer Oktobernachmittag noch munter bei der Arbeit. Sie produzieren den Honig, der in kleinen Gläschen den Besuchern der Manufaktur als Gastgeschenk mitgegeben wird. Ob es ein Zufall ist, dass hier auch Bienenstöcke stehen? Vermutlich nicht.

Das legt zumindest ein Besuch des Firmenmuseums nahe, das in die Produktionsstätte integriert ist und Meilensteine der Firmenhistorie nachzeichnet: In den Vitrinen mit historischen Zeitmessern der Marke, Gründungsjahr 1860, findet sich auffällig oft der Bienenkorb als Symbol. Der sprichwörtliche Fleiß dieser Insekten war dem Firmengründer und Uhrmacher Louis-Ulysse Chopard, der sich im Alter von 24 Jahren in der Juragemeinde Sonvilier selbstständig machte, ein Vorbild. Seine Uhren genossen einen hervorragenden Ruf und gelangten bis an den Zarenhof. Die Firma übersiedelte schließlich nach Genf, schon damals ein Hotspot der Uhrenfertigung.

Familienwerke

Knapp hundert Jahre später sah die Sache allerdings weniger rosig aus, Chopard stand quasi vor dem Aus. Die Rettung nahte in Person des Pforzheimer Goldschmieds Karl Scheufele. Die Enkel – Scheufele wie auch Chopard führten das Werk ihrer Großväter fort – fanden einander auf Anhieb sympathisch. So steht es in den Annalen des Unternehmens. Man wurde handelseinig, Chopard ging 1963 in den Besitz der Familie Scheufele über – und ist es bis heute.

Die akkurat gestutzten Buchsbäume und Liguster vor den Produktionsstätten lassen keinen Zweifel daran, dass in Genf und Fleurier, den beiden Produktionsorten, der schwäbische Geist der Gründlichkeit waltet. Eine Tugend, die man gerade für die Herstellung feinster mechanischer Uhren – und natürlich Schmuck! – mitbringen sollte. Beharrlichkeit schadet auch nicht.

Ursprung der Kaliberfamilie

Letzterer ist es immerhin zu verdanken, dass sich Chopard seit 1996 als echte Uhrenmanufaktur bezeichnen darf. Davor hat man zugekaufte Uhrwerke nur in Gehäuse eingeschalt, also nicht selbst hergestellt. Das änderte sich mit dem Kaliber L.U.C 96.1. Aus diesem Ursprungswerk wurde mittlerweile eine ganze Kaliberfamilie. L.U.C steht für Haute Horlogerie, hohe Uhrmacherkunst, und ist zudem eine Hommage an den Unternehmensgründer Louis-Ulysse Chopard, dem man damit ein Denkmal setzte.

Zu verdanken ist dies im Wesentlichen Karl-Friedrich Scheufele, Copräsident der Marke, der mit dem Aufbau der Manufaktur in Fleurier im Val-de-Travers, eine (der vielen) Wiege(n) der Schweizer Uhrmacherei, den Grundstock dafür legte. Ein ehrgeiziges Unterfangen: "Wir starteten mit einem weißen Blatt Papier", betont Scheufele gern. Im Auge hatte er dabei vor allem die männliche Kundschaft: Denn für Herren hatte Chopard bis zu diesem Zeitpunkt wenig im Angebot – vielleicht abgesehen von den Uhreneditionen für die Oldtimerrallye Mille Miglia, die von dem Unternehmen seit 1988 maßgeblich begleitet wird.

Jahrelang Erfahrung

Den L.U.C-Uhren – Produktionsstand: 4.500 Stück jährlich bei rund 75.000 Zeitmessern insgesamt – wird seither sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt. Es gibt sie in allen möglichen Varianten – vom schlichten Dreizeigermodell über die Minuten-Repetition bis hin zur "All-in-one", einem Zeitmesser mit vierzehn Komplikationen. Natürlich gibt es auch Modelle für Damen, in denen das Manufakturkaliber glänzt, das sei an dieser Stelle nicht verschwiegen.

Sowohl in Genf als auch in Fleurier lässt sich miterleben, mit welcher Akribie die L.U.C-Werke hergestellt und finissiert – also veredelt – werden. Denn nachdem das "grobe" Werk – Fräsen, Stanzen ... – von hochmodernen CNC-Maschinen und sonstigen Automaten beinahe ohne menschliches Zutun erledigt ist, sind die Spezialisten dran. Genfer Streifen oder die Perlage, spezielle Zierschliffe auf Uhrwerken, werden von Mitarbeiterinnen in weißen Uhrmacherkitteln mit anachronistisch wirkenden, leise vor sich hinsummenden Schleifmaschinen aufgebracht. Es ist Arbeit, für die man jahrelange Erfahrung braucht: Ein bisschen zu stark aufgedrückt, und das Bauteil ist im schlimmsten Fall verloren. Schließlich wird hier alles bis auf dem Mikrometer genau berechnet.

Luft nach oben

Sieht man sich die – oftmals selbstangefertigten – Werkzeuge der Graveure und Angleure an, fühlt man sich in längst vergangene Zeiten zurückversetzt. Sie arbeiten mit feinen Feilen bis hin zu angespitzten Enzianwurzeln oder dem Mark der Äste des Hollunderstrauchs, das sie zum Polieren der Werkteile verwenden. So lässt sich gut nachvollziehen, wie einst die (Uhren-)Bauern in den langen, kalten Wintern im Val-de-Travers gearbeitet haben müssen.

Viele dieser solcherart verzierten und polierten Kleinstteile verschwinden danach unter Zifferblättern oder werden von anderen Bauteilen überdeckt. Ihr Anblick erfreut nach dem Zusammenbau vielleicht den Uhrmacher, der die Uhr später einmal serviciert. Also wozu die ganze Mühe? "State of the Art", lautet die Antwort. Der Kunde bekommt, was er sich von einem Stück der Haute Horlogerie erwarten darf – Finesse und Handarbeit bis ins kleinste Detail, auch wenn dies nicht zu sehen ist.

Industrielle Werkefertigung

Es herrscht eine angenehme Stille in den hellen Räumlichkeiten, von dem Brummen der Maschinen im Keller ist hier nichts zu hören. Uhrmachermeister bringen, tief über ihre speziellen Tische gebeugt, Stunden damit zu, die Uhrwerke zusammenzubauen – Brücken, Kloben, Zahnräder etc. werden mit irrwitzig kleinen Schräubchen befestigt. Die Uhr erwacht zum Leben. Bewähren müssen sich die Uhren bei den harten Tests der Qualité Fleurier bzw. müssen sie, wenn sie in Genf zusammengebaut werden, den Kriterien des hochangesehenen Genfer Siegels genügen.

Die industrielle Seite der Werkefertigung kann man nur wenige Hundert Meter von der Manufaktur entfernt erleben. Dort steht das Gebäude der Fleurier Ebauches. Von außen deutet nichts darauf hin, dass es sich um die Uhrenfabrik von Chopard handelt – wären da nicht wieder die wie mit dem Lineal gestutzten Pflanzen vor dem Gebäude. Hier wird die Masse der Chopard-Uhrwerke, vielfach automatisch, erzeugt, weniger hochwertig zwar, aber mit derselben Akribie. Der Lokalaugenschein zeigt zudem, dass es noch Luft nach oben gibt – sprich es gibt noch genügend Platz, um die Produktion weiter hochzufahren. Mit Prognosen hält man sich allerdings zurück, ebenso werden keine Zahlen genannt, was Umsatz oder Gewinn betrifft.

Faires Gold

Der dürfte im Falle des neuesten Projekts des Unternehmens etwas geringer kalkuliert worden sein als üblich: Die Entscheidung, nur noch 100 Prozent ethisches Gold für Schmuck und Uhren zu verwenden, bringt einen höheren Einkaufspreis und eine Umstellung der Produktion mit sich. Die Mehrkosten sollen allerdings nicht auf den Endkunden umgewälzt werden, verspricht man. So oder so ist die Goldschmelze einer der angenehmsten Arbeitsplätze in der Genfer Liegenschaft von Chopard – dort ist es immer schön warm. (Markus Böhm, 15.5.2019)