Herbert Grönemeyer: "Meine Texte müssen auf der Musik gleiten und zugleich verspielt sein."

Foto: Antoine Melis

Herbert Grönemeyer (62) bringt alle vier, fünf Jahre ein neues Album heraus: Liedersammlungen, die voller sprachlichen Eigensinns stecken. Sie lassen sich unschwer auf die Politik beziehen und sind doch poetisch verklausuliert. Nicht nur wenn Grönemeyer ein paar Zeilen türkisch singt und über das Menschenrecht auf den "Fluchtpunkt" als "zweite Heimat" sinniert. 2019 wird Grönemeyer, der nach Jahren in London in Berlin lebt, drei Konzerte in Wien und in Graz geben. Derweil promotet er engelsgeduldig sein famoses neues Album Tumult, das einen ähnlichen Höhepunkt wie Mensch darstellt. Ein Gespräch mit einem nachdenklichen Künstler über das Songschmieden und demokratische Reife.

STANDARD: Ihr Album "Tumult" bildet einen Zyklus. Seit Bob Dylan gilt beim Songwriting: Songzeilen sollen sich nicht reimen, sie dürfen ähnlich klingen. Sie kommen von einem Ausdruck wie "Glück klar" auf "Rückgrat", oder Sie singen "vager Punkt", das klingt dann wie "Vagabund". Wie beginnen Sie die Textarbeit für ein neues Album?

Grönemeyer: Die Musik ist der Auslöser.

STANDARD: Füllen Sie Notizhefte mit Strophen und Motiven?

Grönemeyer: Das ist ein feiner, enervierender Vorgang, der eine ganze Menge Spaß birgt. Ich kaufe Block und Stift, und meine großen, linierten Blöcke liegen dann überall herum. Wenn ich zu schreiben anfange, versuche ich zuerst, die Form des Liedes in den Griff zu kriegen. Jede Musik diktiert mir zuerst eine Form. Dann beginne ich, sorgfältig zu färben. Der Text muss sehr präzise sein, er muss andererseits auf der Musik gleiten. Er darf sie nicht zerstören, er muss auch in sich eine Art Schönheit haben ...

STANDARD: Er muss für sich bestehen?

Grönemeyer: Ich setz mich hin und empfinde erst einmal tierischen Respekt vor dem Wust Papier. Zugleich setze ich mir immer auch ein Thema für eine Platte. Nicht in Form einer Überschrift; aber im Kopf weiß ich, okay, was willst du eigentlich erzählen? "Für Angst haben wir die falschen Nerven", eine solche Zeile mündet aus anderen Liedern. Und ja, bei "vager Punkt" soll man auch "Vagabund" verstehen. Das soll irritieren.

STANDARD: So wie der Start des Albums: "Der Tag ist alles außer gewöhnlich ..." So fällt man mit der Tür ins Haus.

Grönemeyer: Großes Nanu bei der Plattenfirma, als ich denen das vorspielte. Die zweite Zeile lautet nämlich: "... und leider gibt es auch kein Problem". Bei einem Konzert, das wir unlängst für den ZDF gaben, habe ich bemerkt, wie gebannt die Leute auf die Texte reagieren. Alles ist darauf angelegt, dass sie etwas verstehen und zugleich nicht alles verstehen. Im Grunde würze ich mit dem jeweiligen Text die Musik.

Releasekonzert zu Herbert Grönemeyers neuem Album "Tumult".
Frank Strömer

STANDARD: Prima la musica?

Grönemeyer: Der Text muss die Musik anwürzen. Heute sind wir ja alle geneigt zu sagen: Ich muss rasch kapieren, worum es geht, sonst klicke ich weiter. Mein Spaß ist ein anderer. Ich sage: Ich mache es dir nicht ganz einfach. Das ergab sich früher auch aus der Art und Weise, wie ich gesungen habe. Dylan sang ja auch so, dass man kaum ein Wort verstand. Macht nichts.

STANDARD: Sie erzwingen die Aufmerksamkeit?

Grönemeyer: Du hast zwei Chancen beim Hörer. Entweder du sagst, es gefällt dir nicht. Oder wenn es dir gefällt, dann finde auch – wie in einem Suchspiel – heraus, was erzählt wird!

STANDARD: Die deutsche Sprache neigt leider zu schwerfälligen Prädikaten.

Grönemeyer: Das Deutsche besitzt einen ausgeprägten Hang zur Ordnung. Wie krieg ich es hin, dass die Sprache beim Singen leicht und luftig bleibt? Dabei möchte ich immer wieder kleine Dissonanzen schaffen. Oder das Verspielte bewahren.

STANDARD: Sie sind in Österreich beliebt wie kein anderer bundesdeutsche Popkünstler.

Grönemeyer: Komischerweise. Das macht mich aber sehr froh.

STANDARD: Teilen Sie mit den Alpenrepublikanern die Vorliebe, sich "unpräzise" auszudrücken?

Grönemeyer: Was Sie als unpräzise beschreiben, ist der Spaß der Österreicher, mit der Sprache geschmeidig umzugehen. In Deutschland und speziell auch in Preußen betrachten wir die Sprache als Repräsentation unseres Ingenieurwesens. Wir handhaben sie mit großer Präzision, neigen aber nicht dazu, ihr verspieltes Sentiment zu implantieren. Ich bin ein großer Kitschvertreter. Als ich Mein Lebensstrahlen für das neue Album schrieb, war der Text zu Anfang noch deutlich kryptischer. Für mich eine der schönsten Nummern, die ich je geschrieben habe.

STANDARD: Über ein Wort wie "Lebensstrahlen" kann man stolpern.

Grönemeyer: Man fragt sich: Ist das jetzt zu pathetisch oder zu zickig? Aber es besitzt Wärme: "keine Tricks, einfach Geschick / schieres Gefallen". Schier klingt schön altdeutsch ...

STANDARD: Sie modellieren?

Grönemeyer: Es ist ein latentes Formen nach den Maßgaben der Musik. Ich setze mich beim Texten selbst unter hohen Druck. Text ist Arbeit. Mein Vater, übrigens ein Heine-Liebhaber, sagte immer: "Herbert, ganz wichtig sind die Texte." – "Weiß ich." – "Ja, aber die Texte ...!?" Irgendwann komme ich beim Freischreiben in einen Flow, wo ich, quer über den Tisch verteilt, an diversen Strängen sitze und arbeite. Wo musst du leichter werden, wo verdaubarer? Oder ist eine Zeile wie "Ich sehe mir heute verdammt ähnlich" zu lapidar?

Musikvideo zum neuen Song "Warum".
Groenemeyer

STANDARD: Wie mühsam ist es für den Poeten Grönemeyer, unentwegt als politischer Auskunftgeber in Erscheinung zu treten?

Grönemeyer: Politik ist nichts Besonderes. Sie sortiert das Zusammenleben von Menschen, mehr ist es nicht. Es wird bloß so gefühlsschwanger damit umgegangen.

STANDARD: Und die große Aufregung dieser Tage rührt nur von der Grenzöffnung 2015 her?

Grönemeyer: Das frage ich mich ja auch: Warum reagieren wir alle so hochgescheucht? Wir leben unter wirtschaftspolitisch stabilen Prämissen. Wir müssen mit einer weltweiten Notsituation umgehen, gut. Aber andererseits bricht uns ja nicht gerade die Welt auseinander. Ja, wir besitzen auch die Kapazitäten, anderen zu helfen. Das ist ein Geschenk. Deutsche wie Österreicher haben zwei Länder geschaffen, die in der Lage sind, anderen Schutz zu bieten. Das ist humanistisch wunderbar. Aber warum jetzt alle verrücktspielen müssen, kriege ich nicht in die Birne.

STANDARD: Sie sind kaum jemals als Salonmarxist aufgetreten.

Grönemeyer: An der Universität, als es die diversen "K"-Gruppen gab, war das interessant und auch klug. Ich war aber immer mehr für die Aktion. Darum habe ich mich nach der Wiedervereinigung um rechte Jugendliche gekümmert. Ich habe gesagt: Ich möchte agieren, kann mich nicht endlos im Gespräch verlieren. Und ich möchte an die Menschen ran. Beim Theoretisieren setzt man sich rasch von den Leuten ab, weil man sich für klüger hält. Ich stamme aus dem Ruhrgebiet, einer Arbeitergegend, und habe dort eigentlich immer mit klugen, lebenserfahrenen Menschen zu tun gehabt, die wissen, worum es geht.

STANDARD: Wissen das auch die Brexit-Engländer?

Grönemeyer: Das ist verrutscht. Der damalige Premierminister Cameron hat das Land mit einer Schnapsidee komplett durchgemischt. Dann hatte er noch diesen Boris Johnson an seiner Seite: Ihn habe ich einmal bei einem Promifußballspiel mit Lothar Matthäus und anderen in Reading kennengelernt. Der Mann ist für mich ein Verrückter. Er nahm den Kopf runter und rannte seinem Gegenspieler mit dem Kopf in die Geschlechtsteile. Ich dachte mir: "Was ist denn das für ein Irrer?" (Ronald Pohl, 14.11.2018)