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Schlafstellen für Obdachlose wie hier in einer Kirche in Rom zeugen von wachsender Armut in Italien.

Foto: Reuters / Tony Gentile

Die Reaktion der EU-Kommission auf die demonstrative Weigerung der italienischen Regierung, im Budget die geforderten nachhaltigen Korrekturen vorzunehmen, fiel kühl aus. Das Kollegium werde eine Stellungnahme zum Schreiben aus Rom Mitte nächster Woche abgeben, wenn auch die Budgetentwürfe anderer Mitgliedstaaten auf der Tagesordnung stehen, sagte ein Sprecher in Brüssel.

Auf Inhalte ging er nicht ein, er bestätigte lediglich, dass der Brief aus Rom fristgerecht vor Mitternacht eingegangen war. Damit deutete die Kommission an, dass es für Italien keinerlei Sonderbehandlung geben werde. Das Faktum, dass die Budgetansätze aus Italien nicht nur der Größenordnungen wegen – einer Verdreifachung der bisher geplanten Neuverschuldung, 2,4 statt 0,8 Prozent des BIP – weit überzogen seien, hatte Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici bereits im Warnbrief aus Brüssel vor zwei Wochen festgehalten.

Marode Struktur

Was von immer mehr Ökonomen betont wird: Italien leidet nicht nur an maroden Staatsfinanzen, sondern an tiefer liegenden Strukturproblemen. Wie schlecht es um das Land bestellt ist, hat nun der Internationale Währungsfonds (IWF) in einem Bericht festgehalten. Die wichtigsten Punkte:

· Stagnation Die Wirtschaft hinkt nun schon seit Jahrzehnten hinterher, was sich negativ auf die Geldbörsen der Italiener auswirkt. Die privaten Realeinkommen liegen heute auf dem gleichen Niveau wie vor 20 Jahren. Der sonst nüchterne IWF bringt seine Einschätzung drastisch zum Ausdruck: "Die Lebensbedingungen von Menschen mittleren und jüngeren Alters sind erodiert." Angesichts einer Arbeitslosigkeit von zehn Prozent versuchen immer mehr Italiener ihr Glück im Ausland, die Emigration stieg auf den höchsten Stand seit fünf Jahren. Vor allem jüngere Personen ziehen weg, was weitere negative Folgen für Wachstum und Pensionssicherung haben wird.

· Steuersystem Als besonders wachstumsfeindlich gilt die Besteuerung: Arbeit wird hoch, Vermögen kaum belastet. Da auch die Pensionsausgaben die zweithöchsten der Eurozone sind, ortet der IWF eine Begünstigung älterer Generationen gegenüber jüngeren. Der Fonds sieht in den Steuerplänen Roms keine grundlegende Reform und befürchtet, dass die Änderungen der Regierung – Einheitssteuer für Selbstständige und die Begünstigung nicht entnommener Gewinne – die Unsicherheit erhöhen und das Geschäftsumfeld beschädigen werden. Stattdessen plädiert der Fonds für eine umfassende Reform und Abkehr von den notorischen Amnestien, die nur die Steuermoral verschlechterten.

· Arbeitsmarkt Der IWF kritisiert die im internationalen Vergleich hohen Kosten, die mit einer Beendigung von Arbeitsverhältnissen verbunden sind. Darin sieht der Fonds einen negativen Anreiz für Betriebe, neue Leute einzustellen. Zudem wird im Länderbericht eine Dezentralisierung der Lohnfindung empfohlen, um strukturelle Arbeitslosigkeit zu beseitigen und Produktivitätsverbesserungen auf regionaler Ebene zu erzielen.

· Pensionen Die Reduktion des faktischen Antrittsalters wird die Pensionsausgaben erhöhen, die Beschäftigung Älterer reduzieren und den Generationenkonflikt anheizen, warnt der Währungsfonds. Die Problematik ist für die Experten besonders gravierend, da Pensionssystem und folglich Staatsfinanzen in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten besonders unter Druck gerieten.

· Staatsfinanzen Insgesamt befürchtet der IWF wegen der höheren Ausgaben eine Steigerung des Defizits auf annähernd drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die höheren Staatsausgaben hätten negative Effekte in Form höherer Zinsen auf Anleihen der Republik. Steigende Schulden und dadurch notwendige Sparmaßnahmen könnten eine Rezession auslösen. (Thomas Mayer, Andreas Schnauder, 14.11.2018)