Verhandler Michel Barnier und Ratspräsident Donald Tusk präsentieren den Brexit-Vereinbarungsentwurf.

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Premierministerin May trat am Mittwochabend vor die Presse, um zu verkünden, dass das Kabinett dem Brexit-Plan zustimmt.

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Schicksalhaftes Parlament, nicht nur für Winston Churchill (Statue), sondern wohl auch für Theresa May.

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London/Brüssel – EU-Ratspräsident Donald Tusk beruft einen Sondergipfel zum Brexit-Abkommen für den 25. November ein. Die Europäische Union habe in den Gesprächen die entscheidenden Interessen ihrer dann noch 27 Mitgliedstaaten gesichert, sagte Tusk am Donnerstag nach einem Treffen mit dem EU-Chefunterhändler Michel Barnier.

"Bestmöglicher Deal"

Unterdessen verteidigte die britische Premierministerin die vorläufige Brexit-Vereinbarung mit der EU gegen vehemente Kritik, die nicht zuletzt aus den eigenen Reihen gekommen war. "Dies ist der bestmögliche Deal für unser Land. Er ist im nationalen Interesse", beteuerte Theresa May vor ihrem Amtssitz in der Downing Street 10. Zuvor hatte sie dem Kabinett die Vereinbarung in einer mehr als fünfstündigen Sondersitzung vorgestellt, die sie später als "detailliert und leidenschaftlich" beschrieb. Das dürfte eine Untertreibung gewesen sein: Fast alle Minister hätten sich gegen den Entwurf ausgesprochen, bevor sie ihn dann doch zähneknirschend annahmen, heißt es in Medienberichten.

May half, dass ein Ereignis vorerst ausblieb, das EU-Feinde in der konservativen Fraktion vehement gefordert hatten: Rücktritte gleichgesinnter Minister. Labour-Oppositionschef Jeremy Corbyn kündigte Widerstand gegen den Deal an: Er stelle "die schlechteste aller Welten" dar.

Unzufriedenheit überall

Einem BBC-Bericht zufolge wollen empörte Brexit-Ultras eine Vertrauensabstimmung über die Parteichefin herbeiführen. Dazu sind schriftliche Anträge von 48 der 316 konservativen Unterhaus-Abgeordneten notwendig. Dem Parteistatut zufolge muss sich die Vorsitzende dann einer Abstimmung stellen. Bei einer Niederlage müsste May vom Parteivorsitz zurücktreten. Da bisher eine klare Mehrheit der Fraktion hinter May stand, gilt dieser Ausgang aber als eher unwahrscheinlich.

Unterdessen sind der Brexit-Minister Dominic Raab und der britische Staatssekretär für Nordirland Shailesh Vara zurückgetreten. Raab teilte in einem Schreiben mit, er könne die Vereinbarung zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU nicht mittragen. Der beschlossene Entwurf bleibe auf halbem Wege stehen, "mit keiner zeitlichen Grenze, wann wir eine souveräne Nation sein werden", kritisierte Vara.

Nach dem grünen Licht durch das Kabinett wurde über Nacht das 585 Seiten starke Paket aus Austrittsvertrag und politischer Erklärung über die zukünftige Zusammenarbeit veröffentlicht. Für Donnerstag ist eine ausführliche Befragung der Premierministerin im Unterhaus geplant.

Am Mittwoch war die Fragestunde der Premierministerin noch dadurch erschwert worden, dass außer May und engen Gefolgsleuten niemand die genauen Einzelheiten der Vereinbarung kannte. Das Verhandlungsergebnis bringe "das Vereinigte Königreich dem Ziel der Volksabstimmung erheblich näher", argumentierte die Premierministerin da.

Bei den Verhandlungen mit EU-Chefunterhändler Barnier stand seit Monaten der zukünftige Status von Nordirland im Mittelpunkt. London, Dublin und Brüssel hatten sich frühzeitig darauf geeinigt, dass die extrem durchlässige Grenze zwischen der britischen Nordprovinz und der Republik im Süden weiter offen bleiben sollte.

Deshalb soll laut dem Abkommen das gesamte Vereinigte Königreich vorerst in der Zollunion mit der EU und Nordirland in Teilen des Binnenmarkts verbleiben – so lange, bis das Königreich und die EU eine neue Handelspartnerschaft vereinbart haben. Weil die Tendenz dieses "so lange" durchaus Richtung Dauerlösung gehen könnte – also kein zeitliches Limit feststeht –, ist dieser Teil des Deals Mays Gegnern bei den Tories und den nordirischen Unionisten ein großer Dorn im Auge.

Presseberichten in London zufolge stellten andere EU-Mitglieder wie Italien, Deutschland und die Niederlande für ihr Entgegenkommen in Sachen Nordirland harte Bedingungen. So muss sich die Insel während ihrer Mitgliedschaft in der Zollunion weiterhin an EU-Standards in der Arbeits- und Umweltgesetzgebung halten. Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) werde durch britische Gerichte "angemessene Aufmerksamkeit" gezollt.

Aufruhr bei den Schotten

Wie unzufrieden gerade viele Konservative mit dem Verhandlungsergebnis sind, verdeutlichte ein Brexit-Ultra im Unterhaus. "Sie verlieren heute das Vertrauen vieler konservativer Abgeordneter und Millionen von Wählern im Land", sagte Peter Bone an seine Parteichefin gewandt.

Zu Wort meldeten sich am Mittwoch auch die schottischen Konservativen, die mehrheitlich für den EU-Verbleib geworben hatten. Sie beharren darauf, dass ihr Land so bald wie möglich die EU-Fischereiregeln hinter sich lässt. Auch lehnen sie Sonderregeln ab. Andernfalls würden die 13 Nord-Tories den Deal ablehnen.

Zufriedener gab man sich in Brüssel. Kommissionschef Jean-Claude Juncker ließ mitteilen, er sehe genug Fortschritt, um die Verhandlungen zu beenden. Chefverhandler Michel Barnier trat fast eine Stunde lang vor die Presse. Er sprach von "entscheidenden Schritten". (Sebastian Borger, 14.11.2018)