Politische Entscheidungen entstehen oft hinter verschlossenen Türen. Vertrauliche Gespräche zwischen Forschern und Politikern sollen nun neue Dialoge ermöglichen.

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Eine langfristigere Perspektive im Migrationsdiskurs fordert der renommierte Demographieforscher Wolfgang Lutz.

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Die Forschung braucht eine größere Lobby in der Politik, meint die Molekularbiologin Claudia Jonak.

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In der Beziehung zwischen Politik und Wissenschaft tun sich mitunter große Gräben auf. Das ist einerseits gut so, damit sich die Wissenschaft jeglicher Vereinnahmung entziehen kann. Andererseits müssen Forscherinnen und Forscher so weit in den Diskurs einbezogen sein, dass Entscheidungen und Gesetze auf wissenschaftlich fundierten Fakten basieren und nicht von emotionsgeladener Stimmungsmache gelenkt sind. Die Diskrepanz zwischen Tatsachen und Ideologien ist aber gerade bei hochaktuellen, oft umstrittenen Themen eklatant, siehe die Debatten um Gentechnik oder Migration.

"Es wäre sinnvoll gewesen, schon nach der Wahl vor einem Jahr Migrationsforscher hinzuzuziehen, um über den UN-Migrationspakt zu sprechen", sagt der renommierte Bevölkerungsexperte Wolfgang Lutz dem STANDARD. Es sei unverständlich und sachlich ungerechtfertigt, dass Österreich nach zwei Jahren politischer Diskussion in letzter Minute umschwenke und den Pakt ablehne. Damit ist Lutz nicht allein: Zuletzt sprachen sich mehr als 30 namhafte Forscher in einem Schreiben für eine Kurskorrektur der Regierung auf, was den UN-Migrationspakt betrifft.

Neue Gesprächsbasis – vertraulich

Eine andere Basis für das Gespräch zwischen Politik und Wissenschaft, nämlich für eines von Angesicht zu Angesicht, soll nun dazu führen, dass das Vertrauen zwischen Wissenschaft und Politik gestärkt wird und fundierte Fakten größeres Gewicht in politischen Entscheidungen bekommen. Eine von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Anton Zeilinger, Präsident der Akademie der Wissenschaften, gestartete Initiative brachte vergangenen Freitag erstmals acht Top-Forscherinnen und -Forscher sowie 14 Nationalratsabgeordnete an einen Tisch. Genauer gesagt an vier Tische, wo man sich in einer Art zweistündigem Speeddating über die gewichtigen Themen Quantenphysik, Life-Sciences, Migration und Demografie sowie Weltraumforschung austauschte.

Die wissenschaftliche Seite vertraten u. a. Giulio Superti-Furga, Direktor des CeMM (Forschungszentrum für Molekulare Medizin), Wolfgang Baumjohann vom ÖAW-Institut für Weltraumforschung und eben Wolfgang Lutz. Die Teilnehmer auf der Politikseite hingegen blieben anonym, sämtliche Dialogpartner mussten zusichern, dass die konkreten Inhalte der Gespräche vertraulich bleiben.

Diese Vereinbarung und der informelle Rahmen hätten ermöglicht, dass die Abgeordneten "offen nachfragen" konnten und eine "ungezwungene Atmosphäre" herrschte, berichtet Lutz nach den Gesprächen. Er sei "sehr beeindruckt" von dem großen Interesse der Politikerinnen und Politiker gewesen. "Es wurden viele Fragen gestellt, was die Zukunft des Pensionssystems, die Entwicklung der Geburtenraten und Neuinvestitionen in Bildung betrifft", sagt Lutz. Genau diese längerfristige Perspektive komme auch im Migrationsdiskurs meist zu kurz.

Ein ungewohntes Terrain

Von einer "offenen, guten Stimmung" spricht auch die Pflanzengenetikerin Claudia Jonak vom Austrian Institute of Technology (AIT), die zwei Abgeordneten den Bereich Lebenswissenschaften näherbrachte. Erstaunt war Jonak darüber, dass die Politiker sehr wenig über Entscheidungen Bescheid wussten, die die Wissenschaft betreffen – also etwa die Vergabe von Forschungsmitteln. Dementsprechend sah Jonak die Gespräche auch als Gelegenheit, Wünsche der Wissenschaft zu deponieren.

Braucht die Forschung also mehr Lobbying auf der politischen Bühne? "In meinem Bereich definitiv", sagt Jonak. Nach wie vor sei die Politik für Wissenschafter ein "ungewohntes Terrain", dessen "Tools man sich erst aneignen" müsse. Auch deshalb sei das Dialogformat sehr begrüßenswert. "Ich hoffe, dass sich künftig mehr Abgeordnete dafür Zeit nehmen", sagt Jonak.

"Die Politik muss sich manchmal herausnehmen aus der alltäglichen Belastungssituation und sich die Zeit nehmen, über Themen zu reflektieren, die vielleicht nicht am nächsten Tag in den Schlagzeilen stehen, uns aber nachhaltig in unserer gesellschaftlichen Entwicklung beeinflussen", bekundete auch Sobotka zum Auftakt der Gespräche, die ab sofort halbjährlich stattfinden sollen. "Wir sehen Politik breiter im Sinne aller das Gemeinwohl betreffenden Angelegenheiten", sagte Anton Zeilinger. "Die Wissenschaft hat hier eine Bringschuld." Einig waren sich alle: Man sollte sich öfter an einen Tisch setzen. (Karin Krichmayr, 17.11.2018)