Tomas Tranströmer, "Randgebiete der Arbeit". Heraus gegeben von Magnus Halldin und Wolfgang Butt. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Mit zahlreichen Abb. € 28,80 / 264 Seiten. Hanser, München 2018

Cover: Carl Hanser Verlag

Was ist das für ein schöner Band! Einer, den man allen schenken will. Und ihn doch selbst behalten möchte. Für lange. Für sehr lange.

Als der schwedische Dichter Tomas Tranströmer 2011 mit 80 Jahren den Literaturnobelpreis zugesprochen bekam, seufzten viele: Endlich ein Dichter! Endlich ein sanfter, menschenfreundlicher Schriftsteller, sagten viele, einer, dessen Poeme nicht zwanghaft verdunkelt und von Metaphern überwuchert sind. Und vielleicht lasen dann noch mehr seine zarten Kindheits- und Jugenderinnerungen Die Erinnerungen sehen mich. Die Tranströmer, der lange als Psychologe in einer Jugendhaftanstalt, in einer Personalverwaltung, bei einem Arbeitsforschungsinstitut arbeitete, ansahen, wohlgemerkt nicht umgekehrt.

Geheimnisse auf dem Weg. Klänge und Spuren. Nachtsicht. Für Lebende und Tote. Das große Rätsel. So hießen seine Lyrikbände. Lange hatte der 1931 geborene Architektensohn in der Speis seiner Stockholmer Wohnung ein Archiv aufgestapelt, Manuskripte, Tagebücher, Briefe, Zeitungsausschnitte. In seinen letzten zwei Lebensjahren – Tranströmer starb am 26. März 2015 – hatte der seit einem Schlaganfall 1990 körperlich immer stärker eingeschränkte Dichter auf der Grundlage dieser Materialien am Arrangieren dieses eindrucksvollen bio-foto-literarischen Bandes mitgearbeitet. Im Prosagedicht Briefe beantworten schrieb Tranströmer: "Einmal werde ich antworten. Einmal, wenn ich tot bin und mich endlich konzentrieren kann. Oder wenigstens so weit weg von hier, dass ich mich selbst wiederfinden kann." Ihn kann man hier finden, mit zahlreichen Fotografien, Faksimiles, Vergleichen zwischen Entwürfen und fertigen Fassungen.

Dieser aus der Reihe Edition Akzente buchstäblich herausragende, weil überformatige Band ist auch eine Erinnerung an vergangene Verlagszeiten, als über Jahrzehnte hinweg an Dichtern festgehalten wurde, die keinerlei Geld bescherten. Es ist auch eine Verbeugung vor der "Hanser-Kultur".

Ausdauernd kommt Michael Krüger vor, der von 1968 bis Ende 2013 45 (!) Jahre lang im Carl-Hanser-Verlag tätig war, als Lektor, später als Verlagsleiter. Vor nunmehr sieben Jahren las Krüger schon ausgewählte Gedichte Tranströmers als Hörbuch ein. Projektleiterin der leicht variierten Ausgabe war die Lektorin Tatjana Michaelis, auch über 30 Jahre im Haus. So ist diese Hommage an einen hinreißenden Poeten auch ein Geschenk in eigener Sache. Eine Würdigung jener Generation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Hanser zur feinen, partiell exorbitanten Literaturadresse hochmendelte. Eine Erinnerung an Zeiten, als große Literaturverlage offenen Auges Risiken eingingen. Als Dichtung Herzensangelegenheit war. Weil Dichtung Herzenssache war. (Alexander Kluy, 21.11.2018)