Zufrieden sind EU-Verhandler Michel Barnier und Ratspräsident Donald Tusk über ihr Werk.

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Michel Barnier ist in Europa im Moment ein gefragter Mann. Die Begrenzungen von Zeit und Raum scheinen für den Brexit-Chefverhandler der EU-27 derzeit nur eingeschränkt zu gelten. Mittwochabend hatte der Franzose noch rechtzeitig vor Mitternacht im Presseraum der EU-Kommission in Brüssel das Ergebnis seiner Verhandlungsbemühungen präsentiert.

Stolz hielt er dabei einen dicken "Ziegel" Papier in die Kameras: das nicht weniger als 585 Seiten starke Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Darin gebe es keine grünen Stellen mehr, mit denen nicht geklärte Punkte markiert wurden. Alles sei weiß, freute sich Barnier. Quasi "weißer Rauch", wie er im Vatikan nach der Wahl eines Papstes aufsteigt, um Erfolg zu verkünden.

Aber der EU-Verhandler warnte gleichzeitig davor, sich zu früh zu freuen. Dies sei "eine wichtige Etappe", es warte aber noch viel Arbeit.

Kaum waren die EU-Beamten und die Journalisten, die seit Tagen praktisch rund um die Uhr am Finale der Brexit-Gespräche werkelten, dann am Donnerstagmorgen aus dem Bett, war Barnier schon wieder auf der großen EU-Bühne und auf allen Bildschirmen. Gemeinsam mit dem ständigen Ratspräsidenten Donald Tusk, dem er ein Exemplar des Brexit-Vertrags überbrachte, verkündete er die nächsten Schritte.

Am Sonntag, dem 25. November, werde es einen EU-Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs geben, bei dem das Abkommen auf höchster Ebene abgesegnet werden wird. "Sofern bis dahin nichts Außerordentliches passiert", fügte Tusk an – mit Blick auf die dramatischen Ereignisse in London. Der Ratspräsident verwies auch auf ein Treffen der EU-Europaminister, das am Montag (unter Vorsitz von Gernot Blümel aus Österreich) stattfinden wird. Dort könnten die Regierungen ihre Einwände gegen den Brexit-Deal deponieren. Er hoffe auf sehr wenige. Zuvor wollte Kanzler Sebastian Kurz aber bereits heute, Freitag, nach Brüssel reisen, um dort Gespräche zu führen.

Der rasende Barnier

Barnier hielt sich bei der Pressekonferenz kurz. Noch vor Mittag tauchte er in Straßburg auf, wo er EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani ein Exemplar des Brexit-Abkommens in die Hand drückte.

Der Italiener erklärte, gemäß dem, was er bisher wisse, sei man "mit Kernpunkten im Vertrag zufrieden". Der Chef-Brexit-Verhandler des EU-Parlaments, Guy Verhofstadt, gab sich wesentlich euphorischer: Es sei das "der beste Vertrag, den wir erreichen konnten".

Das Europäische Parlament spielt eine Schlüsselrolle dabei, ob der Brexit wie geplant am 29. März über die Bühne gehen kann. Der Austrittsvertrag muss vom Plenum mit einfacher Mehrheit im Ratifizierungsverfahren angenommen werden. Dass die Abgeordneten einen geordneten EU-Austritt platzen lassen könnten, gilt zwar als unwahrscheinlich – aber in ihren Resolutionen haben sie sich selbst an die Auflage gebunden, dass Großbritannien keine "Rosinenpickerei" beim Binnenmarkt erlaubt werden dürfe; dass es für ein Land nicht zum Vorteil werden könne, aus der Gemeinschaft auszutreten, sich der solidarischen Lasten zu entledigen, aber weiterhin Vorteile der vier Grundfreiheiten zu genießen.

Der vorliegende Pakt, laut Barnier "eine gerechte und ausbalancierte Lösung", dürfte den Wünschen der Mehrheit der EU-Mandatare aber eindeutig entsprechen. Allerdings stehen sie unter Zeitdruck. Weil im Mai 2019 EU-Wahlen stattfinden, löst sich das Parlament im April auf, es muss also die gesamte restliche Gesetzgebungsarbeit in den drei Monaten nach der Weihnachtspause erledigen. Käme es bei der Behandlung des Brexit-Vertrags zu Verzögerungen, etwa weil nachverhandelt werden muss, könnte die Zeit zu knapp sein, das umfangreiche Vertragswerk in den zuständigen Ausschüssen entsprechend zu verarbeiten.

EU-Chefverhandler Barnier betonte auch die Notwendigkeit, dass man jetzt in Ruhe "den juristisch präzisen Vertragstext" weiterbearbeite. Er war, wie einige andere EU-Spitzen in Europa, offensichtlich bemüht, die Einigung nicht als Sieg der EU-27 über die Briten erscheinen zu lassen.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich in Berlin "sehr erfreut" über den Abschluss. Der litauische Außenminister Linas Linkevicius sprach "von einem gewissen Durchbruch". Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire lobte den "vollen Respekt für den Binnenmarkt" im Vertrag. (Thomas Mayer aus Brüssel, 15.11.2018)