Steirisch, Kärntnerisch, Tirolerisch – manche Eltern aus den Bundesländern sprechen zwar untereinander im Dialekt, mit ihren Kindern aber Hochdeutsch.

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Manfred Glauninger prognostiziert einen Sprachwandel – für ihn als Linguisten ein selbstverständliches Phänomen.

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STANDARD: Eltern, die ursprünglich aus den Bundesländern stammen, sprechen mit ihren Kindern in Wien oft Hochdeutsch. Beobachten Sie dieses Phänomen als Linguist auch?

Glauninger: Ja, das ist ein gängiges Verhaltensmuster. Es gibt zwar einige linguistische Annahmen dazu, aber keine ausreichenden empirischen Daten, weil man da aufgrund der Größe Wiens große Mengen braucht. Ich betreue gerade eine Masterarbeit, die sich mit dem Thema befasst.

STANDARD: Warum machen Eltern das?

Glauninger: Bundesländerdialekte werden in Wien traditionell stigmatisiert. Früher machten Menschen aus den Bundesländern häufiger negative Erfahrungen damit. In letzter Zeit hat sich das in die Richtung verändert, dass Dialekt oft als lustig, "süß" oder interessant wahrgenommen wird, was auch nicht immer angenehm ist. Eltern wissen das und versuchen die Kinder nicht im Dialekt zu sozialisieren. Auch die Kinder von Wiener Eltern sprechen keinen Wiener Dialekt.

STANDARD: Untereinander sprechen die Eltern aber oft im Dialekt, nur nicht mit ihren Kindern.

Glauninger: Dieses Phänomen ist sehr interessant, weil die Bezugspersonen Kinder sprachlich normalerweise sehr beeinflussen. Die Kinder hören, dass die Eltern untereinander Dialekt sprechen, aber übernehmen es nicht. Ein Kind an der Kinderuni hat einmal zu mir gesagt: "Die komische Sprache von Mama und Papa kenne ich schon, die sprechen sie auch immer, wenn der Opa anruft." Wenn man den Begriff "Muttersprache" wörtlich nimmt, sprechen diese Kinder in gewisser Weise keine Muttersprache.

STANDARD: Gibt es außer dem Stigma noch andere Gründe?

Glauninger: Die Großstadt als solche, denn hier leben auch viele Menschen, die eine andere Sprache als Deutsch sprechen. Die Mehrzahl der Kinder in den Kindergärten und Volksschulen spricht nicht Deutsch als Erstsprache. Wenn die Kinder miteinander auf Deutsch kommunizieren wollen, kann nur das nichtdialektale Deutsch die gemeinsame Sprache sein. Im gesamten deutschen Sprachraum gibt es die Tendenz, dass das Dialektsprechen vor allem in den Städten zurückgeht, das beginnt bei den jungen Menschen.

STANDARD: Könnte der Dialekt dadurch verlorengehen?

Glauninger: Das selbstverständlichste Phänomen, das es für mich als Linguisten gibt, ist der Sprachwandel. Sprache muss sich ununterbrochen verändern. Großmutters Dialekt war auch nicht schon immer so, wie sie ihn gesprochen hat. Ein Dialekt verschwindet nur dann, wenn man ein bestimmtes unveränderliches Bild davon hat. Der Wiener Dialekt, wie er vor 50 Jahren gesprochen wurde, verschwindet sehr wohl. Allerdings wird es auch in Wien noch lange ein Deutsch geben, das nicht der Norm, dem "Hochdeutschen", entspricht. Das "Sterben" des Dialekts ist ein emotionales Thema, das mit Verlustangst und Romantisierung zu tun hat. Dialekt wird oft als Kulturgut empfunden.

STANDARD: Welche Rolle spielt grammatikalisch falsches Hochdeutsch in Sätzen wie "Gehen wir zu die Enten?"?

Glauninger: Was Menschen als Hochdeutsch wahrnehmen, entspricht linguistisch gesehen meist nicht der standardsprachlichen Norm. Die wird ja letztendlich nur von Berufssprechern gesprochen. Wenn man diese Norm nicht verinnerlicht hat, was völlig normal ist, rutschen Teile aus dem Dialekt ins "hochdeutsch" Sprechen hinein. Das ist ein sehr gängiges Phänomen, gerade wenn man versucht "schön" zu sprechen.

STANDARD: Was ist mit bundesdeutschen Ausdrücken? Kinder übernehmen oft den "Matsch" und das "lecker" aus Büchern und Fernsehserien. Eltern hingegen verwenden gerne den Ausdruck "Jungs" statt "Buben".

Glauninger: Das passt genau ins erwähnte Phänomen des Sprachwandels. Österreich ist im deutschen Sprachraum und EU-Binnenmarkt völlig integriert, Medien werden grenzüberschreitend konsumiert. Da wäre es doch höchst erstaunlich, wenn Ausdrücke nicht übernommen werden. Es wäre realitätsfern, sprachlich Grenzen einzuzementieren. Die nationale Identität Österreichs musste in der Zweiten Republik in Abgrenzung von Deutschland gebildet werden. In der älteren Generation geschah das auch mittels sprachlicher Abgrenzung. Heute ist es ein Faktum, dass das Bundesdeutsche in Österreich omnipräsent ist, ob im Supermarkt oder im Internet. Die Kinder wachsen in dieser Welt auf. Eigentlich ist es ein gutes Zeichen, dass junge Menschen bundesdeutsches und österreichisches Deutsch oft gar nicht mehr unterscheiden, weil das bedeutet auch, dass das Nationbuilding von Österreich erfolgreich war.

STANDARD: Wie sieht es mit dem Dialekt in Bildungseinrichtungen aus?

Glauninger: Dialekt wird in der Schule oft aus pädagogischen Gründen eingesetzt. Die Kinder werden zwar an die Standardsprache herangeführt, beim Interagieren mit dialektal sozialisierten Kindern in den Bundesländern macht es aber oft Sinn, auch den Dialekt zu verwenden. Auch an den österreichischen Unis sprechen Lehrende mit Studierenden in der Sprechstunde oft im Dialekt, alles andere wäre unnatürlich. (Marietta Adenberger, 18.11.2018)