Wien – Wer das Werk von Herman Melville kennt und die deutsche Innenpolitik mitverfolgt hat, weiß, dass große Literatur ewige Gültigkeit besitzt. Die Zähigkeit, die Besessenheit, mit der sich Horst Seehofer in den letzten Jahren in Angela Merkel, die sanfte Gewalt der aufgepeitschten Politmeere, verbissen hat, erinnerte an das ebenfalls nicht spannungsfreie Verhältnis zwischen Ahab und Moby Dick.

Der lange Kampf ist vorbei, nun zieht es Käpt'n Seehofer und Moby Merkel in den Orkus der Parteichefrente. Ach, hätte Seehofer doch nur Melville gelesen! Olga Neuwirth hat ihn sehr ausgiebig studiert, er ist eine ihrer kardinalen Inspirationsquellen. Im Konzerthaus (bei Wien Modern) war die revidierte Fassung ihrer Hommage an Melville (von 2012) zu erleben, The Outcast.

Das Libretto (Neuwirth und Barry Gifford) folgt der Handlung von Moby Dick, die Figuren von Bartleby, dem verweigerungsfreudigen Schreiber, und dem redseligen Old Melville wurden hinzugefügt. Neuwirth kategorisiert The Outcast als "musicstallation-theatre", über der Bühne hängen Leinwände, die mit Videos bespielt werden.

Solisten und Chor tragen schwarze Kostüme, der Knabenchor erscheint in Silberweiß (Design, Video: Netia Jones): toll. Schade nur, dass auf deutsche Übertitel verzichtet wurde – nicht nur Anna Mitgutschs Monologe für Old Melville hätten so mehr Wirkung entfaltet.

Klang der Unschuld

Die Musik ist collageaffin: Da gibt es gleißende Klangflächen, über denen sirenenschöner Gesang anhebt, da gibt es naturnahen Vogelgesang; kirchenmusikhafte Knabenchöre steuern Unschuld bei. Orgel, Akkordeon und E-Gitarre fungieren als Farbtupfer und Assoziationsauslöser, Komik wird dezent (gestopfte Trompeten) oder schenkelklopfend (Stayin' Alive) eingesetzt. Das Meer ist mal sonnenhell und silbern, mal düster und drohend und sogar metallisch-spitz.

Der Showdown hinterlässt einen mauen Eindruck. Fantastisch Susanne Elmark (als Ishmaela), energisch Andrew Watts (als (Queequeg), sanft-autoritär Otto Katzameiers Ahab. Jubel auch für den Münchner Knabenchor und das RSO Wien unter der Leitung von Ilan Volkov. Das Risiko hat sich gelohnt. (sten, 16.11.2018)