Tallinn/Rom – Estlands Präsidentin Kersti Kaljulaid hat das Nein der Regierung in Tallinn zum globalen Migrationspakt der Vereinten Nationen kritisiert. Angesichts der im kommenden Jahr anstehenden Parlamentswahlen könne man die Entscheidung und die vorausgehende Debatte als gewöhnliches Wahlkampfgetöse abtun, so Kaljulaid am Freitag.

Doch wende sich Estland auch von den Grundsätzen seiner Außenpolitik seit der wiedererlangten Unabhängigkeit 1991 ab, erklärte die Präsidentin. Nach einer zu Wochenbeginn entbrannten Debatte konnte sich die Regierung am Donnerstag nicht darauf einigen, dass sich das baltische EU- und Nato-Land dem geplanten Pakt anschließt. Während sich Außenminister Sven Mikser dafür aussprach, äußerten Justizminister Urmas Reinsalu und dessen konservative Partei Pro Patria rechtliche Bedenken. Sie sehen die Gefahr, dass das Abkommen Teil des internationalen Gewohnheitsrechts wird und dadurch die nationale Regelungshoheit von Migrationsfragen einschränkt.

Unwahrheiten

"Die unerwartete Zwietracht zwischen den Regierungsparteien hat soziale Hysterie und Lügen befeuert", erklärte Kaljulaid. Es habe "manchmal sogar absichtliche Verknüpfungen des Pakts mit Dingen, die nicht der Wahrheit entsprechen", gegeben, "die aber gut geeignet sind, um die Gesellschaft zu spalten". Der Pakt verbessere das Verständnis und die Zusammenarbeit, er schaffe kein neues Recht und ändere keine estnischen Gesetze oder Optionen, sagte die estnische Staatschefin.

Der von den UNO-Mitgliedstaaten beschlossene Pakt soll helfen, Flucht und Migration besser zu organisieren. Er soll bei einem Gipfeltreffen am 10. und 11. Dezember in Marokko angenommen werden. Vor Estland hatten neben Österreich auch Tschechien, Bulgarien, die USA und Ungarn ihre Ablehnung des rechtlich nicht bindenden Dokuments erklärt.

Vatikan: "Es schmerzt"

Der Vatikan hat seine Unterstützung für den Migrationspakt der Vereinten Nationen bekräftigt. Daher schmerze es "festzustellen, dass einige Länder sich aus dieser Diskussion zurückziehen", sagte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in einem Vortrag am Donnerstagabend in Rom, wie die Agentur Kathpress meldet.

In seinem Beitrag über Menschenrechte und die katholische Kirche verteidigte Parolin den Einsatz des Vatikans für eine offene Flüchtlings- und Migrationspolitik. Diese müsse aber begleitet werden von einer klugen Integrationspolitik, die den Fähigkeiten der jeweiligen Aufnahmeländer entspreche. Leider habe vielerorts die Politik ihre Rolle als Vermittlerin aufgegeben. Stattdessen "gibt sie der unklugen Versuchung eines einfachen Konsenses nach und setzt auf angestammte Ängste der Bevölkerung", so der Chefdiplomat des Papstes. (APA, red, 16.11.2018)