Wenn Larry Brown nicht schrieb, spielte er Gitarre. Seine Storys erinnern an Countrysongs, an sehr gute Countrysongs.

Foto: Heyne / Tom Raskin

Auf seiner Visitenkarte soll als Berufsbezeichnung "Human Being" gestanden haben: menschliches Wesen. An solchen war er interessiert. Nicht an den Berühmten, sondern an den Fußgängern des Lebens. An den Gästen namenloser Bars, an Feldarbeitern, an Automechanikern – an kleinen Familien und ihren großen Tragödien. Seine Herkunft war dafür verantwortlich und zugleich das beste Nährgebiet für seine Neigung. Larry Brown wurde am 9. Juli 1951 in Oxford, Mississippi, geboren. Ebendort starb er vor ziemlich genau 14 Jahren im Alter von nur 53 Jahren an einem Herzinfarkt.

Larry Brown war Schriftsteller. In den Südstaaten gilt er als Hausheiliger. Kollegen wie Donald Ray Pollock verehren sein Werk, in Europa wird er erst nach und nach entdeckt. Sein Schaffen umfasst sechs Romane, einige Bände mit Kurzgeschichten sowie das autobiografische On Fire: Bevor Brown ab den 1990ern von seinen Büchern einigermaßen leben konnte, arbeitete er 17 Jahre lang als Feuerwehrmann.

Dem deutschsprachigen Publikum sind Browns Bücher weitgehend unbekannt. Seine beiden, erstmals bei Heyne Hardcore von Thomas Gunkel ins Deutsche übertragenen Romane Fay (2017) und Joe (eben erschienen) könnten das ändern. Im Original sind sie in umgekehrter Reihenfolge und im Abstand von neun Jahren erschienen. Sie sind zwar voneinander unabhängig zu lesen, doch verzahnte Brown die Geschichten. Fay, ein Teenager, der ausbüxt, ist die große Schwester von Gary. Der bleibt in Joe bei seiner Familie. Er erduldet seinen brutalen Vater und versucht, sich gleichzeitig über Arbeit von ihm abzunabeln. Da trifft er Joe.

Stupide Lohnarbeit

Joe gibt Gary Arbeit. Harte, stupide Lohnarbeit im Freien. Mit anderen Tagelöhnern vergiftet Gary Bäume. Doch der Job wird oft abgeblasen, weil es so schüttet, oder ist eigentlich unmenschlich, weil die Sonne so nagelt.

Der Titelheld entwickelt eine Zuneigung für Gary und eine Abneigung gegenüber dessen Vater Wade. Joe fördert Gary in seinen Emanzipationsbestrebungen, doch Wade ist das nicht recht. Wade ist wie ein schwarzes Loch, zieht das Unheil an oder gebiert es zur Not selbst. Zum Erhalt seiner sich in Zerfall befindlichen Familie trägt er nichts bei. Eher erschlägt er andere Alkoholiker, um ihnen den Fusel zu fladern, als arbeiten zu gehen. Doch als er bemerkt, dass Joe Gary seinem Einfluss entzieht, bockt er. Es kommt zu Konfrontationen an mehreren Fronten. Diese zeitigen zwar Gewalt, doch darin ergeht sich Brown nie über Gebühr. Die Brutalität seiner Geschichten liegt in der Banalität täglicher Demütigungen begraben und erhebt in Form trister Umstände ihr Haupt.

Brown schreibt in der knappen Sprache des Südens: kein Geschwätz, keine Wortgirlanden. Seine Geschichten spielen im Setting der 1980er und setzen die Tradition von Autoren wie Harry Crews, William Faulkner, Cormac McCarthy oder Flannery O'Connor fort. Sie wirken wie die Vorlagen nie gedrehter New-Hollywood-Filme, wie Filme im Kopf. Ihre cineastische Qualität bestätigen mehrere Verfilmungen. Erwähnenswert ist vor allem das 2013 von David Gordon Green (Halloween, ...) verfilmte Joe mit Nicolas Cage in der Titelrolle.

Joes Schicksal ist nach 340 Seiten besiegelt, jenes der Fay erstreckt sich über 300 Seiten mehr und ist der bessere Einstieg. Die große Schwester von Gary flieht runter an die Golfküste. In Biloxi landet sie im Rotlichtmilieu. Sie wird vergewaltigt, trifft einen netten Polizisten, wohnt bei ihm, haut ab, löst da wie dort Katastrophen aus. Diese kommen bei Brown selten mit lautem Knall daher, Spektakel passen nicht ins Bild. Zigaretten aufstellen, ein Quartier für die Nacht finden, ein paar Bier besorgen, in den falschen Typen reinlaufen – das reicht seinen Figuren, um Probleme aufzureißen, naive Entscheidungen besorgen den Rest.

Und wenn die Kacke einmal dampft, geht sie mit Sicherheit auch über. Manch ein Problem löst ein tödlicher Schuss, andere schleifen seine Figuren wie offene Schuhbänder nach. Ob gut oder böse, Brown beschreibt seine Charaktere mit großer Hingabe, ohne sich zu sehr in sie zu verlieben, ohne über sie zu urteilen. Das Urteil spricht das Leben, und das ist nicht immer fair. Humor ist in seinen Geschichten dünn gesät, Joe oder Fay haben nicht viel zu lachen. Die Leser packen sie trotzdem. (Karl Fluch, 18.11.2018)