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Die Kanzlerin in Chemnitz.

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Ostdeutscher Humor?

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Chemnitz/Berlin – Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Bürger aufgerufen, sich bei Demonstrationen scharf gegen Fremdenfeinde und Rechtsradikale abzugrenzen. Sie finde es gut, dass sich viele Chemnitzer von den fremdenfeindlichen Ausschreitungen bei den Demonstrationen im September abgestoßen gefühlt und sich distanziert hätten, sagte Merkel am Freitag in Chemnitz.

Zugleich rief die Kanzlerin bei der Gesprächsrunde mit Lesern der Tageszeitung "Freie Presse" die Ostdeutschen auf, selbstbewusster aufzutreten. Merkel führte die Diskussion teilweise sehr engagiert mit den Chemnitzer Bürgern – insbesondere, als sie ihre umstrittenen Äußerungen in der Migrationspolitik wie "Wir schaffen das" verteidigte.

"Merkel muss weg"

Vor dem Gebäude skandierten Demonstranten "Merkel muss weg" und riefen "Hau ab" und "Volksverräter", als sie später das Gebäude der Zeitung verließ. Einige Demonstranten trugen T-Shirts mit der ironischen Aufschrift "Geil Merkel", auf einem Transparent stand "Heil Merkel". Die Demonstranten gehörten zu einer Gruppe mit dem ebenfalls ironischen Namen "Merkeljugend", der an den Begriff "Hitlerjugend" – die Jugendorganisation der Nazis – erinnerte.

Ein Redner der Gruppe verglich Merkels Politik und die veröffentlichte Meinung in Deutschland mit einer Diktatur und den Methoden der Stasi in der DDR. Nach Abschluss der Kundgebung sprach die Versammlungsbehörde von bis zu 2.500 Teilnehmern.

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Merkel besuchte Chemnitz drei Monate nach der tödlichen Messerattacke auf einen Deutschen, anschließenden Demonstrationen und fremdenfeindlichen Übergriffen in der Stadt. Ende August war ein 35-jähriger Chemnitzer vermutlich von Asylbewerbern erstochen worden. Tausende Bürger, darunter auch Rechtsradikale, waren danach auf die Straße gegangen. Es gab fremdenfeindliche Übergriffe, Attacken auf jüdische, persische und türkische Restaurants, die rechte Terrorgruppe "Revolution Chemnitz" wurde aufgedeckt.

Den insbesondere von der AfD scharf kritisierten UNO-Migrationspakt verteidigte Merkel vehement. Im Zusammenhang mit dem Pakt würden "Lügen in die Welt gesetzt" – diese Lügen müssten entlarvt werden. Man dürfe sich nicht "von denen, die Hetze und Hass verbreiten, die Tagesordnung vorgeben lassen". Die Souveränität der Unterzeichner werde durch den Pakt in keiner Weise beeinträchtigt. Dessen Sinn sei es, den Migrationsdruck zu vermindern. Der von den UNO-Mitgliedstaaten beschlossene Pakt soll helfen, Flucht und Migration besser zu organisieren.

Merkel wuchs im Osten auf

An die Adresse der Bürger in Ostdeutschland sagte die Kanzlerin, die selbst im Osten groß geworden ist, sie hätten guten Grund, selbstbewusster aufzutreten. Sie hob die Sachsen hervor, die vor 30 Jahren viel für die Wende und die friedliche Revolution getan hätten. Diese seien ein kreatives und anpackendes Volk. "Sie haben allen Grund, stolz zu sein auf das, was Sie ausmacht", unterstrich Merkel.

In Sachsen wird im September kommenden Jahres ein neuer Landtag gewählt. Die etablierten Parteien befürchten, dass die AfD dabei weiter zulegen kann. Merkel räumte ein, dass in der Vergangenheit das Gespräch mit den Bürgern, bei dem Politiker ihre Entscheidungen erklärten, möglicherweise zu kurz gekommen sei.

Merkel zeigte nach den Ereignissen vor drei Monaten Verständnis für mangelndes Sicherheitsgefühl in der Stadt. Die Erregung darüber rechtfertige aber nicht, bei rechtsradikalen Demonstrationen Straftaten zu begehen.

Kritik an spätem Termin

Sie verteidigte sich gegen Kritik, nach der Einladung von Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) zu spät in die Stadt gekommen zu sein. Sie habe lange darüber nachgedacht, wann der beste Zeitpunkt für ihren Besuch sei – auch vor dem Hintergrund, dass ihr Gesicht auf viele Menschen polarisierend wirke. Sie habe nicht in einer völlig aufgewühlten Stimmung kommen wollen.

Merkel räumte erneut ein, dass die Regierung in Berlin in der Flüchtlingspolitik Fehler gemacht habe. Die Fehler lägen aber nicht darin, dass man den Flüchtlingen kurzfristig geholfen habe, sondern darin, dass man sich nicht frühzeitig um die Herkunftsländer und die Herkunftsregionen gekümmert habe.

In Bezug auf die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sagte die Kanzlerin, sie wolle die Bürokratielasten der EU-Datenschutzregeln für kleine Unternehmen überprüfen lassen. "Die Datenschutzgrundverordnung ist im Grundsatz richtig", so Merkel. Aber sie höre auch, dass mittelständische Unternehmen an den Auflagen "erstickten".

"Wir müssen nochmal mit den Datenschutzbeauftragten sprechen ..., dass die Kleinen nicht genauso behandelt werden wie Großen", sagte sie. Dazu müsse man sich auch anschauen, wie andere EU-Länder die Datenschutzgrundverordnung umgesetzt hätten. Danach könne man sagen, ob man in Deutschland "vielleicht etwas zu intensiv und zu genau" vorgehe. (APA, dpa, 16.11.2018)