"Der einsame Weg" an der Josefstadt.

Foto: Astrid Knie

Türen, Fenster, Durchlässe: Den Schnitzler-Figuren am Theater in der Josefstadt ist äußerst eng zumute.

Foto: Astrid Knie

Türen auf, Türen zu. Und dazwischen Gelächter. Nach diesem Prinzip schnurren im Theater normalerweise Komödien ab. Im Theater in der Josefstadt öffnen sich manchmal gleich mehrere Türen, während sich andere wieder schließen. Übermächtige Flügeltüren haben Raimund Orfeo Voigt und Kathrin Kemp auf die schmale Bühne der Josefstadt gebaut, stimmig angepinselt in Taubengrau.

Die Menschen, die aus ihnen treten, sind Verstörte und Vereinzelte. Sie ducken sich oder lassen gleich die Schultern hängen. Manchmal gehen sie mit einem stummen Schrei in die Hocke oder streifen benommen an einer der Türen an. Der Raum ist knapp auf dieser Bühne. Und all seinen Bewohnern äußerst eng zumute.

So radikal wie die slowenische Regisseurin Mateja Koleznik (sie wird im Sommer Gorkis Sommergäste bei den Salzburger Festspielen inszenieren) hat schon lange niemand mehr mit der Josefstädter Schnitzler-Tradition gebrochen. Die Worte fallen in ihrer atemlosen Version von Der einsame Weg wie schwere Steine (und von Microports verstärkt) aus den Mündern der Figuren – und bleiben in einem Meer an Stille liegen.

Nur ganz selten schleicht sich ein gedehnter wienerischer Tonfall ein, und auch dann ist es nicht mehr als eine verhuschte Erinnerung daran, mit welchem klischeehaften Pathos diese Schnitzlerischen Seelengeschöpfe in der Bühnengeschichte aufgeladen sind. Der Haushalt des Professor Wegrat (Marcus Bluhm) hat sich über die Jahrzehnte in eine Eiskammer verwandelt, in der selbst der herannahende Tod von dessen Frau (Therese Lohner) die Betriebstemperatur nur um ein Viertelgrad steigern kann.

Dabei spielt Schnitzlers im Jahr 1903 entstandener Fünfakter in einem Künstlerhaushalt, in dem einander Schauspielerinnen, Dichter und Maler die Klinke in die Hand geben. Doch aus den einstmaligen Welteroberern sind Bürokraten ihres eigenen Daseins geworden, die den Überschwang ihrer Jugend vor sich her tragen und dabei nicht merken, welch trostlose Figur sie abgeben.

Der Maler Julian Fichtner, den Ulrich Reinthaller als Egomane im Slim-Fit-Anzug gibt, hat es sich in seiner Lebenslüge besonders behaglich gemacht. Nur einmal streift er kurz die Hand seiner ehemaligen Geliebten, der ebenfalls in die Jahre gekommenen Schauspieldiva Irene Herms (Maria Köstlinger). Das Kind, das er mit ihr nicht haben konnte, hat er mit einer anderen gezeugt und dann Reißaus genommen. "Und wenn sie sich getötet hätte?", fragt Felix, der mittlerweile 23-jährige Sohn (Alexander Absenger). "Ich glaube, ich hätte mich dessen für wert gehalten – in dieser Zeit", antwortet er. Wer sein leiblicher Vater ist, hat Felix gerade erst erfahren. Dem Stich ins Herz folgt der Schlag in die Magengrube.

Kein Beiwerk

Es sind Felix und Johanna, die beiden Kinder des steifen Herrn Kunstprofessor, die in Schnitzlers Tragödie im Mittelpunkt stehen. Koleznik zoomt in ihrer vor Spannung knisternden und von Nikolaj Efendis Klangteppich unterlegten Inszenierung noch etwas stärker an sie heran. Alles Beiwerk, jeden Schnörkel in diesem zu Breite neigenden Empfindungsstück hat sie gestrichen. In kurzen 90 Minuten erzählt sie von der Auflösung einer Familie, die nur durch die Ausblendung aller Wahrheiten eine sein konnte.

Johanna liegt gleich zu Beginn auf dem Boden. Am Ende wird sie im tropfenden Kleid mit dem Rücken zum Publikum stehen. Dazwischen vollzieht sich das Abschiednehmen eines Menschen, dessen Körper mit seinen Blessuren eins geworden ist. Die Johanna der Alma Hasun ist der Leib gewordene Kollateralschaden der Wegrat'schen Lebenslüge. Ihre Liebe zum Dichter Stephan von Sala (Bernhard Schir) wird der Todesstoß versetzt, als dieser ihr aus einer Mischung aus Egoismus und Kalkül einen Heiratsantrag macht.

Noch einmal ziehen die Protagonisten dieses entfremdeten Lebens auf der raffinierten Josefstädter Rotationsbühne an Johanna vorbei – bevor der Herr Professor langsam Knopf für Knopf seinen Doppelreiher zuknöpft und die Tür hinter sich schließt. (Stephan Hilpold, 16.11.2018)