Zwischen Russen und Türken kommt es nicht nur beim Fußball hier und da zu Spannungen.

Foto: imago/Valery Sharifulin

"Maxim, Sie sollten jetzt zu Bett gehen, Ihr Flug ist am Vormittag, und da müssen Sie früh aufstehen", mahnt die Rezeptionistin – sichtlich um ihre eigene Contenance bemüht – den vor ihr stehenden jungen Russen. Maxim ist ein echter Hüne wie aus dem berühmten Bild "Bogatyri" ("Recken") von Viktor Wasnetzow in der Tretjakow-Galerie. Doch Unmengen an billigem Alkohol bringen auch Recken zum Schwanken. Mit Mühe hält er sich aufrecht, mit einer Hand krallt er sich an der Deckendekoration fest, der Bauch lehnt gegen den Tresen. Zum Schlafengehen sei es noch zu früh, befindet er trotzdem lallend.

In der Lobby herrscht derweil eine ausgelassene, teilweise durch Trunkenheit angefachte aggressive Stimmung. An der Bar wird ununterbrochen ausgeschenkt. Einige Gäste grölen patriotische Lieder, andere diskutieren erregt und lautstark miteinander – oder mit dem Personal, wenn es um Ruhe bittet. Einige wenige sind dagegen schon in den Dämmerzustand verfallen und fläzen sich in den faden Sitzmöbeln. Es scheint, als habe jemand die Menge zusammengebracht, um alle bestehenden Vorurteile gegen russische Urlauber plakativ zu bestätigen.

Allerdings sind auch wir – mit Ausnahme meiner Person – eine russische Reisegruppe. Vier Familien, die vom ersten Eindruck des Hotels sichtlich schockiert sind. Zumal es nicht das Hotel ist, in dem wir eigentlich untergebracht werden sollten. Doch das lang im Voraus gebuchte Fünf-Sterne-Hotel Longbeach weist uns an der Tür einfach ab. Überfüllt! Kein Argument führt herein, nicht einmal die Tatsache, dass wir mehrere kleine Kinder dabei haben und es schon kurz vor 21 Uhr ist. "Alles voll. Es ist auch nur für zwei Tage", versichert der Mann an der Rezeption.

Türkischer Whisky- und Rum-Verschnitt

Hotel und Reiseveranstalter werden sich später gegenseitig die Schuld für die Überbuchung zuweisen. Am Ende müssen wir unsere Koffer packen und in einem klapprigen Kleinbus in unser Ausweichquartier fahren. Das soll ebenfalls ein Fünf-Sterne-Hotel sein, doch tatsächlich gibt es dort bei unserer Ankunft praktisch nichts mehr – außer türkischen Whisky- und Rum-Verschnitt an der Bar.

Das Abendbrot ist jedenfalls schon vorbei, was die Mägen der Kleinen mit einem Knurren quittieren. Die Unterbringung in den wohl billigsten Zimmern in Sicht- und Hörweite der hoteleigenen Klimaanlage trägt ebenso wenig zur Stimmungssteigerung bei wie das Frühstück am nächsten Morgen in Kantinenatmosphäre. Wie sich herausstellt, ist unsere Notunterkunft eigentlich schon für den Winter geschlossen und wurde angesichts des Andrangs behelfsmäßig schnell noch einmal geöffnet, um Reibach zu machen.

Benachteiligung der "besten Freunde"

Auf Foren ist zu lesen, dass auch Urlauber aus Österreich und Deutschland bereits mit einer solchen dubiosen Geschäftspraxis in der Türkei konfrontiert wurden. Doch die Umsiedlung aus dem Longbeach betrifft praktisch ausschließlich Russen, während Gästen aus anderen Ländern Quartier gewährt wird. Es ist schon eine auffällige Benachteiligung der "besten Freunde" und zahlenmäßig größten Touristengruppe.

In der neuen Bleibe ist das völlig überforderte, weil zahlenmäßig viel zu geringe Personal sichtbar von den russischen Gästen genervt. Der Betreiber der türkischen Sauna im Hotel klagt über das schlechte Benehmen der Russen und unterhält uns mit Geschichten darüber, wie einige Gäste angeblich dutzende Handtücher und andere Gebrauchsgegenstände hätten mitgehen lassen.

Der mitklingende Vorwurf in seiner Stimme bringt uns freilich nicht dazu, bei ihm eine Massage zu buchen. Angesichts der Verhältnisse wird uns aber auch langsam klar, warum viele Russen ihren Frust im Alkohol ertränken.

Wenigstens keine zehn Jahre Tortur

Immerhin, nach zwei Tagen ist es wirklich vorbei: Mit dem gleichen Klapperbus, der uns gebracht hat, geht es zurück. Allerdings ist er diesmal wesentlich voller: Alle Gäste, die noch nicht versumpft sind, versuchen einen Platz zu ergattern. Mit den Koffern auf den Knien oder stehend eingequetscht zwischen Gepäckstücken und anderen Fahrgästen geht es auf Reisen. Bequem ist etwas anderes, aber immerhin dauert die Tortur nicht wie bei Odysseus zehn Jahre, sondern nur eine Viertelstunde. (André Ballin aus Moskau, 18.11.2018)