Alfred Stern, Vorstandsvorsitzender von Borealis, versteht sich als Teamplayer. Das Zusammenspiel vieler Menschen mit unterschiedlichsten Ausbildungen führe zu besseren Ergebnissen.

Foto: Andy Urban

Borealis gilt als stiller Riese. Zuletzt erzielte der Konzern, der weltweit 6600 Mitarbeiter beschäftigt – rund 1700 davon in Wien, Schwechat und Linz -, einen Umsatz von 7,6 und einen Nettogewinn von fast 1,1 Milliarden Euro. Neben Düngemitteln und Basischemikalien produziert Borealis Grundstoffe für die Plastikindustrie, etwa Polyethylen und Polypropylen. Das wird zu Autobauteilen, Kabelisolierungen, Medizintechnikanwendungen und vielem mehr weiterverarbeitet. Einerseits sind Kunststoffe praktisch und aus vielen Bereichen schlicht nicht mehr wegzudenken; andererseits sind Plastikinseln im Meer sichtbares Zeichen, dass nicht alles rundläuft.

STANDARD: Sie sind seit Juli Chef von Borealis. Ist das überraschend gekommen, oder haben Sie seit Ihrem Eintritt bei Borealis gezielt darauf hingearbeitet?

Stern: Das geht gar nicht. Man braucht auch Glück, muss zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein und alle nötigen Voraussetzungen mitbringen. Wie sich die Chance geboten hat, war ich froh darüber und habe die Gelegenheit gern beim Schopf gepackt.

STANDARD: Sind Sie Einzelkämpfer oder eher Teamplayer?

Stern: Absolut ein Teamplayer. Gerade in unseren Breiten, wo es viele Menschen mit toller Ausbildung gibt, muss man die ins Boot holen. Das bringt bessere Ergebnisse. Dazu ist es notwendig, eine offene Kultur zu schaffen.

STANDARD: Borealis ist nach OMV und Voestalpine das drittgrößte produzierende Unternehmen mit Zentrale in Österreich. Vergleichsweise wenig Menschen wissen aber, was Borealis herstellt. Haben Sie etwas zu verstecken?

Stern: Im Gegenteil. Dass wir nicht so sichtbar sind wie andere, liegt daran, dass wir nicht an der Börse notieren. Wir sind ein bescheidenes Unternehmen, das sich darauf konzentriert zu arbeiten und Dinge umzusetzen, die wir uns vornehmen.

STANDARD: Kunststoffe sind nicht mehr wegzudenken, sind andererseits aber problematisch – Stichwort Plastikmüll im Meer. Lässt sich dieser Widerspruch auflösen?

Stern: Die Müllinseln sind inakzeptabel. Indonesien ist nach China der zweitgrößte Verursacher von sogenanntem Marine Littering. Hauptursache sind fehlende Sammelsysteme. Wir haben vor zwei Jahren mit der Firma Systemiq (Strategieberater; Anm.) in der Stadt Muncar in Indonesien ein Projekt zum Müllmanagement gestartet, wo wir in Zusammenarbeit mit der Stadtregierung einen Kreislauf aufbauen.

STANDARD: Was ist Ihr Part?

Stern: Das Projekt muss erstens finanziert werden, zweitens wollen wir auch Möglichkeiten der Wertschöpfung finden. Das Projekt soll sich ja irgendwann selbst tragen und Kreise ziehen. Da ist Kunststoff-Know-how gefragt. Sich das Plastik wegzuwünschen wird nicht funktionieren. Man muss an den Ursachen arbeiten.

"Es fehlt in Österreich an topgerankten Universitäten. So bleiben wir unter der Wahrnehmungsschwelle im Ausland."
Foto: Andy Urban

STANDARD: Wie kann man die Vorzüge von Kunststoffen, wie geringes Gewicht bei gleichzeitiger Festigkeit und ein vergleichsweise günstiger Preis, bewahren und Schlechtes wie Mikroplastik vermeiden?

Stern: Man muss sich das gesamtheitlich anschauen. Mikroplastik, das beispielsweise Kosmetika zugeführt wird, muss man weglassen, das kann durch andere Stoffe ersetzt werden. Gebrauchsgegenstände aus Kunststoff gehören einem geschlossenen Kreislauf zugeführt.

STANDARD: Daran führt kein Weg vorbei?

Stern: An dem soll kein Weg vorbeiführen. Irgendwann werden wir neun bis zehn Milliarden Menschen auf der Welt sein. Wir müssen jetzt überlegen, wie wir alle möglichst nachhaltig leben können. Unsere heutigen CO2-Emissionen sind mit 36 Milliarden Tonnen so hoch wie nie. Da sind 150 oder 200 Millionen Tonnen Kunststoffmüll im Vergleich ein relativ kleines Problem. Plastikinseln im Meer lassen sich damit nicht rechtfertigen, aber ich kann das Problem nicht dadurch lösen, dass ich mit vermeintlichen Alternativen nachher noch mehr CO2 ausstoße. Das tolle an Kunststoffen ist, dass sie extrem ökoeffizient sind.

STANDARD: Allerorten wird gejammert, dass es immer schwieriger wird, kluge Köpfe zu bekommen. Stimmen Sie in diesen Chor ein?

Stern: Man muss das differenziert sehen. Wir stehen im globalen Wettbewerb. Uns helfen die besten Köpfe aus Österreich sehr viel, aber das reicht nicht, wir müssen auch international die besten Köpfe einsammeln. Deshalb müssen wir attraktiv sein für Leute außerhalb Österreichs. Tatsache ist: Wer einmal bei uns ist, findet es supertoll, aber er oder sie muss erst einmal herfinden. Die duale Ausbildung in Österreich sucht ihresgleichen, es fehlt aber an topgerankten Universitäten. So bleiben wir unter der Wahrnehmungsschwelle im Ausland.

STANDARD: Bis Jahresende will die Regierung die Eckpfeiler für ein Erneuerbare-Energien-Ausbau-Gesetz einpflocken. Wird da auch für Borealis etwas dabei sein?

Stern: Wir haben versucht, etwas in die Diskussion einzubringen. Meines Wissens werden einige Dinge einfließen. Bei den erneuerbaren Energien muss man auf das gesamte Energiemanagementsystem schauen. Die Netzwerke, die wir in Europa haben, sind noch bei weitem nicht ausgereizt. Durch Optimierung derselben sowie Speicher lassen sich vorhandene Anlagen besser nutzen. Österreich ist auch Tourismusland. Stromleitungen sind vielfach störend für das Auge. Es muss nicht alles oben drüber gehen. Erdkabel kosten zwar in der Erstinvestition mehr, sind im Betrieb aber wesentlich zuverlässiger und schonen das Landschaftsbild.

STANDARD: Man hört, dass Ihr früherer Aufsichtsratschef und Ex-OMV-Boss Gerhard Roiss im Energieministerium Stimmung dafür macht, dass mehr Erdkabel vergraben statt Freileitungen gebaut werden?

Stern: Das geht in diese Richtung. Schauen Sie sich die Widerstände an, etwa gegen die Salzburg-Leitung. Wir brauchen einen Ausbau der Stromnetze und sollten auch Innovationen nutzen.

STANDARD: Welchen Vorteil hat es in Zeiten wie diesen, einen 64-Prozent-Eigentümer wie die Mubadala AG aus den Emiraten zu haben?

Stern: Zusammen mit den 36 Prozent, die OMV an Borealis hält, ist das eine tolle Aktionärsstruktur. Beide sind strategische Eigentümer, die die langfristige Entwicklung des Unternehmens unterstützen. Wir haben einige Großprojekte laufen, in Belgien den Bau einer Propandehydrierungsanlage, in Texas errichten wir zusammen mit Total und Nova Chemicals einen Cracker und eine Polyethylenanlage ...

STANDARD: ... weil Ihnen die Trump-Administration den roten Teppich ausgelegt hat?

Stern: Nein, das Projekt ist wesentlich älter als die Präsidentschaft von Donald Trump. Das Investment dort ist wichtig, weil unsere Kunden immer globaler werden und die Produkte, die sie in Europa und Asien kaufen können, auch in den USA haben wollen. Weil es in den USA viel Schieferöl und -gas gibt, sind dort günstige Rohstoffe vorhanden. Uns hat die Steuersenkung in den USA natürlich geholfen, andererseits haben die höheren Zölle möglicherweise negative Auswirkungen, weil die Stahlkosten beim Bau des Werks deutlicher durchschlagen.

STANDARD: Wann wollen Sie dort den Betrieb aufnehmen?

Stern: Ende 2020, Anfang 2021.

STANDARD: Die OMV gehört selbst zu gut einem Drittel dem Bund – ein Vorteil, wenn man im Nahen Osten engagiert ist?

Stern: Absolut, Regierungsbeziehungen helfen. Wir sind in Abu Dhabi ein angesehenes Unternehmen, weil wir Wertschöpfung vor Ort schaffen, Mitarbeiter ausbilden und auch helfen, Managementsysteme aufzubauen. Wir haben dort ein riesiges Joint Venture mit Adnoc (Abu Dhabi National Oil Company; Anm.) – Borouge in Ruwais, wo wir Polyolefine für den asiatischen Markt herstellen. Das wollen wir weiter ausbauen, dort haben wir auch Zugang zu günstigen Rohstoffen.

STANDARD: Den hätten Sie in Russland über die OMV ja auch. Planen Sie dort auch etwas?

Stern: Wir haben in Kasachstan ein Projekt laufen, bei dem wir mit einem lokalen Unternehmen, der United Chemical Corporation, eine Machbarkeitsstudie für einen Polyethylenkomplex erstellen.

STANDARD: Wieso Kasachstan und nicht Russland?

Stern: Dort hat sich die Möglichkeit ergeben – Zugang zu günstigen Rohstoffen, relativ wenig Produktionskapazität rundum und gutes Wachstumspotenzial. In Russland haben wir immer wieder das eine oder andere Projekt angesehen, etwas Passendes hat sich noch nicht ergeben.

STANDARD: Sind in Österreich größere Investitionen geplant?

Stern: Wir investieren kontinuierlich in unsere Standorte und haben zuletzt die Firma Ecoplast in der Steiermark gekauft, die sich auf Kunststoffrecycling spezialisiert hat. Zurzeit sind wir dabei zu überlegen, mit welchen Investitionen wir am Standort Schwechat unser Produktportfolio noch erweitern können.