Am Samstag wollen Franzosen in gelben Warnwesten protestieren.

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Jacline Mouraud wurde zum Aushängeschild der Bewegung.

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Durch Frankreich weht der Wind der Revolte – wieder einmal. Diesmal geht der Aufstand allerdings von den Autofahrern aus. Treibende Kraft sind die "gilets jaunes", das sind die Leuchtwesten, die in französischen Autos bei einem Nothalt verpflichtend sind – aber auch die Angehörigen einer Protestbewegung, die ebendiese Leuchtwesten bei den Aufmärschen tragen.

Rund 283.000 Menschen sind am Samstag laut Behörden auf die Straßen gegangen. Bewohner ländlicher Gebiete, die oft lange Arbeitswege im Auto zurücklegen, protestieren gegen die Absicht der Regierung, die Steuer für Dieseltreibstoff ab 1. Jänner um knapp vier Prozent zu erhöhen, um jenem seinen finanziellen Anreiz gegenüber Benzin zu nehmen. Sie halten den Verkehr auf, riegeln Zugangswege ab oder fahren in Motorradkolonnen bewusst langsam. Mehr als 2.000 Protestaktionen gibt es offiziellen Angaben zufolge.

Die Autofahrer sind aufgebracht, weil die französische Energiepolitik die Dieseltechnologie jahrzehntelang begünstigt hatte – sie nun aber wegen der Schadstoffbelastung ausmerzen will. Die Protestierenden bestreiten, dass die Regierung nur ökologische Absichten verfolge: Von den 3,9 Milliarden Euro an Mehreinnahmen sollen laut Budgetentwurf nur 184 Millionen, also weniger als fünf Prozent, in die Sparte "Energiewende" fließen; der Rest ist dazu bestimmt, die hohen Staatsausgaben zu finanzieren.

Schwere Unfälle und ein Todesfall

Gleich zu Beginn des Tages scheinen sich die schlimmsten Befürchtungen zu bewahrheiten: Nördlich von Grenoble gerät eine Autofahrerin in Panik, als an einer Straßenblockade Demonstranten auf ihr Autodach trommeln. Sie gibt Gas und überfährt eine Teilnehmerin der Protestaktion, die kurz darauf stirbt.

Auch im Norden Frankreichs kommt es zu einem schweren Unfall. Ein Demonstrant wird Berichten zufolge in Arras auf einem Kreisverkehr umgefahren und kommt schwer verletzt ins Krankenhaus. Eine Bilanz der Sicherheitskräfte zählte am Samstagabend mehr als 200 Verletzte, 117 Menschen wurden festgenommen, 73 kamen in Polizeigewahrsam.

Leere Wahlkampfversprechen

Die Dieselabgabe ist indessen nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Generell hat die französische Provinz das Gefühl, von Präsident Emmanuel Macron betrogen worden zu sein. Im Präsidentschaftswahlkampf 2017 hatte er anderes versprochen: Die Senkung der Wohnsteuer, die ein Grundpfeiler seines Wahlprogramms war, musste er wegen des Widerstandes betroffener Gemeinden auf mehrere Jahre strecken.

Die meisten Franzosen sehen davon kaum etwas und haben den Eindruck, dass die Regierung jetzt "mit einer Hand wieder nimmt, was sie vor einem Jahr gegeben hat". Das behauptet Jacline Mouraud, eine Bretonin, die mit einem knapp fünfminütigen Klagevideo über Nacht zum Aushängeschild der ganzen Protestbewegung wurde. "Was machen Sie mit unserem Zaster, außer das Geschirr im Élysée zu wechseln oder für sich ein Schwimmbad zu bauen?", fragte sie in der millionenfach angeklickten Sequenz in Anspielung auf die präsidialen Ausgaben dieses Sommers. "Wohin treibt Frankreich, Monsieur Macron? Sicher nicht in die Richtung, die Sie einschlagen wollten!"

Das Original-Video in französischer Sprache.

Macron antwortete der Dame am Mittwoch indirekt vom Flugzeugträger Charles de Gaulle aus: In einer filmreifen Inszenierung präzisierte der Präsident Hilfsmaßnahmen für Geringverdiener, darunter eine auf 4.000 Euro erhöhte Abwrackprämie für alte Dieselkarossen oder eine 200-Euro-Subvention für Gasheizungen. An der Erhöhung der Dieselsteuer hält er aber fest.

Spaltung der Gesellschaft

Die Fernsehbilder bewirkten das Gegenteil des angestrebten Effekts und unterstrichen die Spaltung der französischen Gesellschaft: hier der Pariser Präsident, der inmitten eines militärischen Machtsymbols einen abgehobenen Diskurs über die Notwendigkeit ökologischer Lenkungsabgaben hält – dort das einfache Volk, das vor lauter Steuern und Abgaben nicht mehr weiß, wie es das Monatsende überstehen soll.

Macron hat an sich Argumente: Statistisch gesehen ist die Kaufkraft der Franzosen seit der Jahrhundertwende ebenso gestiegen wie die Höhe der Renten. Und die Klimaerwärmung ist ein Fakt. Das zählt aber in der aufrührerischen Stimmung wenig: Wie in der Revolution von 1789, die ebenfalls fiskalische Gründe hatte, oder wie bei den Bauern- und Steuer-Jacquerien der französischen Geschichte haben heute viele Provinzfranzosen von links bis rechts das Gefühl, für die Inkompetenz der Pariser Eliten bluten zu müssen. (Stefan Brändle aus Paris, APA, 17.11.2018)