Istanbul/Wien – Die EU hat sich am Freitagabend angesichts der neuen Festnahmen von Akademikern und Aktivisten in der Türkei besorgt gezeigt. Sprecher der Union bezeichneten diese als "alarmierend". Die Behörden müssten "eine sehr schnelle Lösung" finden, hieß es in einer Mitteilung.

Die EU werde die wiederholten Festnahmen von Kritikern und den Druck auf Vertreter der Zivilgesellschaft weiter zum Thema machen – als nächstes bei einem hochrangig besetzten "Politischen Dialog" – unter anderem mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini – am 22. November in Ankara.

Mehrere Razzien

Mehr als zwei Jahre nach einem Putschversuch in der Türkei gehen Behörden dort weiter gegen angebliche Staatsfeinde und Terroristen vor. Razzien trafen Freitagfrüh Akademiker, Mitglieder der Zivilgesellschaft, Soldaten und Imame in vielen Provinzen.

In einer groß angelegten Aktion in Istanbul und drei weiteren Provinzen gingen Beamte der Abteilung für organisiertes Verbrechen am frühen Freitagmorgen zunächst gegen Akademiker und Mitglieder der Zivilgesellschaft vor. Wie die Nachrichtenagentur DHA berichtete, richtete sich die Operation gegen 20 Personen aus dem Umfeld des Vorsitzenden des Kulturinstituts Anadolu Kültür, Osman Kavala. 13 der 20 Gesuchten seien festgenommen worden. Anadolu Kültür arbeitet auch mit dem deutschen Goethe-Institut in Istanbul zusammen.

Absurde Vorwürfe

Der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge basieren die Festnahmen auf "absurden Vorwürfen". Jede Illusion, dass es nach der Aufhebung des Ausnahmezustandes in der Türkei zu einer Normalisierung komme, werde durch das Durchgreifen zerstört, hieß es am Freitag in einer Aussendung. Die türkischen Behörden würden "verzweifelt" gegen jede Form von Dissens vorgehen.

Dass die Verhaftungen Teil der Ermittlungen gegen Kavala sind, sieht Amnesty als "bezeichnend" an. Kavala, ein renommierter Geschäftsmann und Intellektueller, war schon vor mehr als einem Jahr festgenommen worden. Seitdem sitzt er ohne Anklageschrift in Untersuchungshaft, was international scharf verurteilt wurde. Kavalas Anwälte sagen, ihm werde vorgeworfen, in Verbindung mit Ausländern gestanden zu sein, die eine "Rolle" beim Putschversuch vom Juli 2016 gespielt haben sollen. Außerdem werde ihm im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Park-Protesten von 2013 versuchter Umsturz der Regierung vorgeworfen.

"Ausländische Ausbilder"

Die Zeitung "Cumhuriyet" berichtete unter Berufung auf die Istanbuler Polizei, dass die 20 Verdächtigen mit ihm zusammengearbeitet hätten. Gemeinsam hätten sie unter anderem die Gezi-Demonstrationen auszuweiten versucht. Zum Beispiel hätten sie "Ausbilder" und "Aktivisten" für die Proteste aus dem Ausland in die Türkei gebracht.

Laut DHA sind unter den Festgenommenen der Vizechef von Anadolu Kültür, Yigit Ekmekci, der Dekan einer juristischen Fakultät und eine prominente Mathematikprofessorin. "Osman Kavala und alle, die heute festgenommen wurden, müssen sofort und bedingungslos freigelassen werden", forderte Amnesty International. "Das Durchgreifen gegen die unabhängige Zivilgesellschaft der Türkei muss beendet werden."

Gleichzeitig wurden am Freitag im Rahmen der Operationen gegen angebliche Mitglieder der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen in Istanbul weitere 14 Personen wegen "Terrorfinanzierung" festgenommen. Die Regierung macht Gülen für den Putschversuch von 2016 verantwortlich. Wegen angeblicher Gülen-Verbindungen hat die türkische Regierung seit dem Putschversuch von 2016 Zehntausende Menschen festnehmen lassen. Die Festnahmen gehen auch nach Ende eines zweijährigen Ausnahmezustands weiter und werden international kritisiert.

Kleinhändler festgenommen

Im westtürkischen Izmir gingen Sicherheitskräfte laut DHA unterdessen auch gegen Kleinhändler vor, die der Gülen-Bewegung angehören sollen, und nahmen 17 Menschen fest. Gleichzeitig begann die Staatsanwaltschaft in Ankara im Rahmen einer weiteren Anti-Gülen-Operation, nach insgesamt 188 Menschen aus 26 Provinzen zu fahnden. Unter ihnen seien 100 Mitglieder der Luftwaffe sowie 88 Imame. Einige der Gesuchten seien bereits in Haft.

Am Donnerstag hatte Innenminister Süleyman Soylu laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu im Parlament in Ankara neue Zahlen zu den umfassenden Fahndungsaktivitäten gegen angebliche Gülenisten und Terroristen vorgestellt. Seit dem Putschversuch hat die Türkei demnach wegen angeblicher Verbindungen zu den Putschisten rund 218.000 Menschen festnehmen lassen. 16.684 der Betroffenen wurden demnach bereits verurteilt. 14.750 befänden sich weiter in Untersuchungshaft, darunter der österreichische Journalist Max Zirngast. (APA, dpa, 16.11.2018)