Interview mit dem künstlerischen Leiter der Vienna Art Week, Robert Punkenhofer, über die Wandlung und das Ziel des einwöchigen Festivals: "Österreichische Kunst muss international mehr Flagge zeigen".

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Manche kommen auch wegen Gratisachterl und freiem Eintritt zur Eröffnung. Der triftigste Grund, zu einer überlaufenen Vernissage zu gehen, bei der die Kunst – und insbesondere ihre Betrachtung – hinter all dem Gewusel und Gewese verschwindet, ist allerdings die Gesichtswäsche. Bei der nächsten Jurysitzung, der nächsten Postenvergabe gilt es, erinnert zu werden. Am Netzwerk muss im Kunstbetrieb stetig geknüpft werden, das weiß niemand so gut wie ihre kleinsten Teile, die Kunstschaffenden. Die meisten knüpfen jedoch auf verlorenem Posten.

Denn "der Kunstmarkt hat ein Riesenproblem. Keiner kauft Kunst", so der Kunstmarktökonom Magnus Resch im Magazin Monopol. Seine Datenstudien haben ergeben, dass in den letzten zehn Jahren 20 Prozent weniger Kunst gekauft wurde. Der Markt konzentriert sich. Die Rekordpreise werden im Top-End-Segment erzielt, bei Blue-Chip-Triple-A-Kunst. Der Rest – Resch schätzt: 99,9 Prozent aller Galerien und Künstler – leidet. Wer Erfolg hat, darüber entscheiden ein paar Kuratoren, Galeristen, Museumsdirektoren und freilich potente Sammler.

Wenn die Kunst zum Ereignis wird: Egal ob sich die Massen vor den Meisterwerken drängen oder in den Museen Partys feiern, es gilt, vor Ort zu sein.
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So gesehen ist die heuer zum 14. Mal stattfindende Vienna Art Week ein kraftvoller Multiplikator für diese auch "breite Mitte" genannten 99,9 Prozent. Nicht nur bei der weinseligen Party im prächtigen Ambiente des Dorotheums, wo die Klientel der Herbstauktionen auf die "Szene" trifft, oder bei den Touren durch Studios und Ateliers kann mit Authentizität gepunktet werden: Wer sich auf das Format einlässt, hat heuer auch bei "Speed Datings" die Chance, Kontakt zu internationalen Kuratorinnen und Kuratoren herzustellen.

Kräfte bündeln

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Jene, die die Wertschöpfungsressource Kunst schaffen, von der andere gut leben, haben aber Grund, frustriert zu sein. Es fließt kein Geld zurück. Stellvertretend für sie ergriff 2015 in Berlin der Künstler Ulf Aminde das Wort. "Wir, die Hauptsponsoren der Berlin Art Week", hob er zynisch an, "können es uns leider nicht mehr leisten, den Kunstmarkt, die Institutionen und den Tourismus der Stadt zu subventionieren."

Seit 2013 hat auch Berlin eine alle Kräfte von Kunsthäusern und Galerien bündelnde Art Week. Anders als in Wien findet die Messe Art Berlin zeitgleich statt. Die Stadt will sich so fest in den Reiseplan der internationalen Kunstwelt einschreiben. Man beweist Lebendigkeit. Die internationalen Sammler genießen das, die Verkäufe sind aber überschaubar.

Die Vienna Art Week startete schon 2005. Zunächst als Programm für Opinion-Leader, um Wien auch als Kunst- und nicht nur als Musikmetropole auf der Landkarte zu etablieren. Anfangs parallel zur Viennafair, sah man bald von dieser Gleichzeitigkeit ab, wollte sich nicht als VIP-Programm der Messe missverstanden wissen.

Man sieht sich als Festival, was dazu passt, dass sich die Idee einst an den Wiener Festwochen entzündete. Doch im Vergleich zu diesem etablierten Schlachtendampfer fährt das Kunstfestival, das mit 400.000 Euro (88 Prozent aus privater Hand) auskommt, mit Franchise-Schiffchen. Das heißt, man bündelt – von Extras wie Atelierrundgängen und Diskursformaten abgesehen – das sowieso vorhandene Ausstellungsprogramm der Stadt, vom Museum über die Galerien und Universitäten bis zu den kleinen Alternative Spaces. 70 Programmpartner und rund 200 Veranstaltungen zählt die ab Montag wieder rollende Eventisierungsmaschine.

Herumfläzen zwischen den Museen im Wiener Museumsquartier: auch ein Massenereignis.
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Eventisierung ist nicht generell schlecht. Man betreibt Intensivierung statt Banalisierung. Dennoch, die Konkurrenz um die Aufmerksamkeitsspannen von heimischen und internationalen Gästen (35.000 im Vorjahr) ist zwangsläufig gewaltig. Die gegenseitige Kannibalisierung macht es immer weniger beliebt, die Eröffnung der eigenen Ausstellungen in die Art Week zu legen. Die vier großen Häuser – Belvedere, Leopold-Museum, Secession und Kunsthalle –, die etwa 2017 am selben Abend eröffneten, ließen heuer aus. Manch anderer ließ sich durch Features im goldenen Programmheft der Vienna Art Week zur Terminkooperation überreden.

Aber wie kam es überhaupt zu solchen, die Ökonomien der Aufmerksamkeit herausfordernden Ereignissen? Schon in den 1970ern widmete man sich der Zukunft der Museen. Es galt, den Ruf des Museums als Mausoleum abzuschütteln. Der konservative und altmodische Mief wich Shops, Gastronomie, Wechselausstellungen, Kunstvermittlung und neuen Medien. Spaß und intelligentes Entertainment zogen ein. Mehr Menschen sollten an den öffentlichen Kunst- und Wissensschätzen teilhaben. Die "Öffnung" ist heute noch immer das Zauberwort der Kulturpolitik und betrifft altehrwürdige Häuser wie Festivals: Alle wollen näher zum Publikum. Aber heute lockt man mit immer neuen Erlebnisformen und Erhabenheitserfahrungen. Man eventisiert: Die Kultur wird zum Fest, bei dem jeder mittanzen will.

Erfolg messen

Der Kunstbetrieb wird massiv von Aufmerksamkeitsfaktoren wie "Prominenz" und "Event" angetrieben. Der Promi als Kurator, wie beispielsweise Wes Anderson im Kunsthistorischen Museum, schafft sogar, beides zu vereinen. Die Kehrseite: Der Erfolg solcher Maßnahmen misst sich in Besucherzahlen. Aber die spröden Ziffern sind für Qualität kein zuverlässiger Indikator.

Dennoch wird gezählt, was das Zeug hält. Ein Beispiel: Die "Lange Nacht der Museen" schuf die attraktive Gelegenheit, Kunst auch nach Einbruch der Dunkelheit zu genießen. Allerdings folgt der Kunstnacht stets die große Statistik, die offenbart, wer im großen Rennen vermeintlich die Nase vorn hat. Es frohlockt der Sieger.

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Auch Meisterwerke werden inzwischen als Ereignisse inszeniert, die man gern in der Kamera nach Hause trägt.
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Man solle keinen Quotenzielen hinterherlaufen, sprach Ex-Kulturminister Thomas Drozda jüngst auf einem Podium. Womit wir bei der Frage wären: Wer fordert die Zahlen eigentlich ein? Die Politik? Die Sponsoren? Oder gar die Medien? Die Nachhaltigkeit kultureller Anstrengungen, auch jene der Vienna Art Week, muss sich anders bemessen. (Anne Katrin Feßler, 19.11.2018)