Die Erderwärmung setzt nicht nur Eisbären zu. Dabei könnten Maßnahmen gegen den Klimawandel das Wirtschaftswachstum sogar ankurbeln.

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Rund 75.000 Milliarden Dollar. Das sind umgerechnet mehr als 66.000 Milliarden Euro oder gut 2000 Milliarden Euro pro Jahr, die bis 2050 rund um den Globus ausgegeben werden müssten, um den mittleren Temperaturanstieg auf der Erde gegenüber der vorindustriellen Zeit bei zwei Grad Celsius zu begrenzen. Das hat die Managementberatung Boston Consulting Group (BCG) in einer neuen Studie ausgerechnet.

"Das Zwei-Grad-Ziel ist zu schaffen, großteils sogar mit herkömmlichen Technologien", sagte Philipp Gerbert dem STANDARD. Er ist einer der Autoren von The Economic Case for Combating Climate Change. Das Investitionserfordernis sei zwar enorm; sofern bei den zu setzenden Maßnahmen konsequent auf Effizienz geachtet werde, würden emissionsmindernde Schritte das Wirtschaftswachstum in vielen Teilen der Welt eher ankurbeln als bremsen. "Das gilt in manchen Fällen selbst dann, wenn Maßnahmen zur Eindämmung klimaschädlicher CO2-Emissionen einseitig und nicht im internationalen Gleichschritt erfolgen", sagte Gerbert.

Sieben Länder unter der Lupe

Ausgangspunkt der globalen Untersuchung war eine Tiefenstudie, die BCG im Vorjahr für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gemacht hat. Darin wurde aufgezeigt, wie und unter welchen Umständen Deutschland seine Ziele erreichen kann und welche Implikationen das für die im Land ansässige Industrie hätte.

In der aktuellen Studie hat BCG neben Deutschland noch sechs andere Länder unter die Lupe genommen: die USA, China, Indien, Brasilien, Russland und Südafrika. Zusammen stehen diese Länder für etwa 60 Prozent der aktuellen Treibhausgasemissionen auf der Erde. Fazit der Untersuchung: Die meisten Länder können 75 bis 90 Prozent ihrer mit dem Klimaabkommen von Paris kompatiblen individuellen Klimaziele erreichen, selbst wenn sie nur erprobte und allgemein akzeptierte Technologien einsetzen.

Teure "letzte Meile"

Die Studie kommt gerade rechtzeitig. In zwei Wochen startet die UN-Klimakonferenz im polnischen Kattowitz. Dort soll ein detailliertes Regelwerk zur Umsetzung des vor drei Jahren in Paris geschlossenen Klimavertrags ab 2020 festgelegt werden.

Vom errechneten Gesamtinvestitionserfordernis von 75.000 Milliarden Dollar, die bis 2030 ausgegeben werden müssten, entfalle rund die Hälfte auf die sogenannte "letzte Meile" – die Differenz zwischen dem, was mit herkömmlichen Technologien zu schaffen ist, und dem, was zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels noch fehlt. Der letzte Schritt sei zwar besonders teuer, gerade dabei zeichneten sich aber erhebliche Einsparungen aufgrund von Effizienzsteigerungen sowie Geldrückflüssen durch einen Switch weg von fossilen hin zu mehr erneuerbaren Energien ab. Gerade in Ländern, die derzeit noch in hohem Ausmaß auf Öl- und Gasimporte angewiesen sind und Jahr für Jahr Milliardenbeträge abführen müssen, würden profitieren. "Investitionen in Wind- oder Solarenergie sind anfangs zwar hoch, dann gibt es den Strom aber für lange Zeit nahezu gratis", sagte Gerbert.

Westeuropäer könnten voranschreiten

Nicht von ungefähr sieht BCG insbesondere die Länder in Westeuropa sowie entwickelte Länder in Asien wie Japan und Korea prädestiniert, voranzuschreiten. Die USA erfüllten zwar fast alle hinreichenden Kriterien, einen vergleichsweise niedrigen Anteil notwendiger Investitionen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) genauso wie ein niedriges Zinsniveau; die USA hätten aber nicht zuletzt aufgrund der Schieferöl und -gasvorkommen zu viel billige Energie im Land – die Zusatzkosten breitflächiger Investitionen in erneuerbare Energien seien damit viel höher als anderswo.

Grundsätzlich gelte es, sich in bestehende Rhythmen einzufügen und Ineffizienzen zu vermeiden. Gerbert führt das an einem Beispiel aus: "In Zentraleuropa werden pro Jahr typischerweise etwa zwei bis drei Prozent der Gebäude renoviert. Wenn man diese in einem Aufwasch auch noch energetisch aufbessert, sind die zusätzlichen Kosten, die anfallen, moderat. Wenn man ein Gebäude aber nur anfasst, um es thermisch zu sanieren und sonst nichts tun, fällt die Maßnahme deutlich mehr ins Gewicht."

Biomasse für Industrie

Unbedingt vermieden werden müsse ein Zickzackkurs bei der Regulierung, das sei "Gift für Investoren", sagte Gerbert. Oft führe aber auch schlicht "Unkenntnis der Faktenlage" zu falschen Entscheidungen. "Biomasse verheizen wir in Zentraleuropa typischerweise zuhause. Das wird auch entsprechend gefördert, ist aber falsch. Biomasse gehört in die Industrie, und zwar aus folgendem Grund", sagte Gerbert. "In der Industrie gibt es keine gute Alternative, um Temperaturen bis zu 500 Grad zu erzeugen. Zuhause können Sie Wärmepumpen, Fernwärme und vieles andere einsetzen, um die relativ moderaten Temperaturen zu erzeugen." (Günther Strobl, 18.11.2018)