Emmanuel Macron ist einst mit dem Anspruch angetreten, die Steuerlast zu senken.

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Frankreich ist nicht von ungefähr das Land der Jacquerien, der Bauernaufstände: Mit ihrer Rebellion gegen die hohen Spritpreise erfinden die aufmüpfigen Citoyens eine neue Art des Straßenprotestes. Drei Viertel der Franzosen stehen laut Umfragen hinter ihnen, obwohl die Revolte kein ökologisches Gütesiegel verdient. Eher leistet die Regierung einen Beitrag zum Klimaschutz, indem sie den Benzin- und vor allem den Dieselpreis erhöhen will.

Von den höheren Steuereinnahmen fließen indes kaum fünf Prozent in den Budgetposten "Energiewende". Daher die Wut der Protestierenden: Sie werfen der Regierung vor, die Umwelt zum Vorwand zu nehmen, um die Staatskassen zu füllen oder, wie schon Jean-Baptiste Colbert, der Finanzminister Ludwigs XIV., vor 350 Jahren sagte, die Steuerzahler "möglichst schmerzlos zu rupfen".

Es stimmt, die französischen Politiker sind Meister im Erfinden neuer Abgaben. Das gilt auch für Emmanuel Macron, der mit dem Anspruch angetreten war, die Steuerlast zu senken. In Wahrheit verharrt die nationale Steuer- und Abgabequote auf dem horrenden Wert von 46 Prozent. 56 Prozent aller Ausgaben werden in Frankreich vom Staat getätigt.

Die Aufständischen, die meist in ländlichen Gegenden leben, profitieren aber kaum vom Sozialstaat; sie stellen nur fest, dass Postämter, Spitäler oder Arbeitslosenschalter zunehmend dichtmachen. Wenn sie noch einen Job haben, erreichen sie ihn oft nur über einen langen Arbeitsweg – meist im Auto, da die lokalen Bahnlinien auch eingestellt werden.

Vor anderthalb Jahren hatten viele dieser "gelben Westen", wie sie sich nennen, den Hoffnungsträger Macron gewählt. Jetzt wenden sie sich enttäuscht ab. Das nächste Mal stimmen sie für – ja, für wen wohl? Richtig, für die Populistin Marine Le Pen.

Darin liegt die Gefahr für Macron. Und für Frankreich. Die Bewegung gegen die Benzinsteuer ist an sich nicht politisch. Sie ist aber auch nicht sehr kohärent, verlangt sie doch eine Steuersenkung, zugleich aber den Ausbau des "Service Public" in den verarmten Landgegenden.

Dieser Widerspruch rückt sie in die Nähe von Populisten, die, wie man in Italien sieht, den ärmeren Bürgern tiefere Steuern versprechen, ihnen aber zugleich den Ausbau des Sozialschutzes – etwa ein Universaleinkommen – vorgaukeln. Auf dieser Linie ist auch Le Pen. Sie weiß, dass der Protest der "gelben Westen" Wasser auf ihren politischen Mühlen ist, ohne dass sie auch nur den kleinen Finger rührt. (Stefan Brändle, 18.11.2018)