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Der Vertragsentwurf zum Brexit. Es wird keinen anderen geben – das versucht Theresa May ihren Landsleuten klarzumachen.

Foto: AP Photo/Francisco Seco

Gegenüber Politikern neigen britische Karikaturisten zur Brutalität, weshalb die Premierministerin zuletzt beim Blick in die Zeitungen wenig Grund zur Freude hatte. Im Guardian wurde Theresa May als ertrinkende Kanalschwimmerin oder hoffnungsvoll von der Klippe springender Ikarus dargestellt.

"Times"-Mann Peter Brockes zeichnete sie als gebratenen Weihnachtstruthahn oder bei der Einweihung des Flugzeugträgers HMS Brexit: Als die Champagnerflasche gegen die Bordwand knallt, geht das Kriegsschiff unter.

Am Wochenende hielten die Zeitungen eine gute Nachricht für die um ihren Job kämpfende Frau bereit: Die Zeichner gossen ihren Spott über Mays innerparteilichen Rivalen aus. Die Brexiteers wüssten zwar nicht, was sie wollten, das aber sofort, lautete die Botschaft von Morten Morland.

Viele Ehrgeizlinge

Nick Newman verglich die sieben Nachfolgekandidaten mit den sieben Zwergen aus dem Märchen. Die Botschaft war eindeutig: Keinem der Ehrgeizlinge sei eine bessere Brexit-Politik zuzutrauen.

Ohnehin scheint fraglich, ob die lautstark angekündigte Vertrauensabstimmung überhaupt stattfindet. Dazu müssten sich 48 Hinterbänkler schriftlich beim Fraktionskollegen Graham Brady melden. Bis Sonntagnachmittag identifizierten britische Medien bloß 25 Konservative, die sich öffentlich zu ihrem Misstrauensbrief bekennen. Brady wollte der BBC die Zahl nicht bestätigen, sagte aber: "Eine Abstimmung wäre für die Brexit-Verhandlungen nicht hilfreich." Dieses urenglische Understatement scheint auch Mays Medienstrategie zugrunde zu liegen.

Vor dem EU-Gipfel am kommenden Sonntag wolle sie die bisher siebenseitige Erklärung zur zukünftigen Zusammenarbeit mit Details anreichern. Ihr eigener Sturz würde nur schaden: "Er würde weder die Verhandlungen noch die Zusammensetzung des Unterhauses verändern."

Etliche Ratschläge

Im Parlament mangelt es zwar nicht an guten Ratschlägen, eine echte Alternative zu dem mit den EU-Partnern vereinbarten vor läufigen Austrittsvertrag hat aber niemand parat. Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon von der Nationalpartei SNP verlangte die Verschiebung des Austrittstermins auf Ende März. Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer kündigte eine Gesetzesinitiative zum Verbot eines Chaos-Brexits ohne Austrittsvereinbarung an.

Oppositionschef Jeremy Corbyn wurde vom TV-Sender Sky gefragt, ob er sämtliche 585 Seiten des Vertrags gelesen habe. "Ziemlich viel davon", lautete die Antwort des Möchtegernpremiers. Er verlangt von May Neuverhandlungen mit Brüssel – wie auch jene fünf Brexit-Befürworter um Umweltminister Michael Gove, die vorläufig im Kabinett verharren.

Streit um Auffanglösung

Ihr Zorn richtet sich wie der des zurückgetretenen Brexit-Ministers Dominic Raab vor allem gegen die "Auffanglösung" für Nordirland. Diese sieht vor, dass Großbritannien auch nach Ende der Übergangsfrist zu Silvester 2020 Mitglied der EU-Zollunion bleibt, um Grenzkontrollen an der inneririschen Grenze zu vermeiden. May verweist darauf, die Auffanglösung werde nur dann in Kraft treten, wenn sich beide Seiten nicht rechtzeitig auf eine Alternative einigen.

Raab behauptete in der BBC, er unterstütze May: "Ich will, dass sie ihre Sache gut macht." Der kurzzeitige Brexit-Minister gilt wie sein Vorgänger David Davis und Ex-Außenminister Boris Johnson als einer der "sieben Zwerge". Unterdessen wächst in der Wirtschaft das Unverständnis gegenüber den Tory-Machtkämpfen. Der Industrieverband CBI hat keinen Zweifel daran gelassen, dass ein Chaos-Brexit katastrophale Folgen für die Insel hätte. Und Nachverhandlungen? "Wer glaubt, den Deal neu verhandeln zu können", ärgert sich Paul Drechsler, Chairman des Mischkonzerns Bibby Line Group, "hat etwas geraucht, das es auf dem freien Markt nicht gibt."

EU hält die Tür offen

In den mit strengem Rauch verbot versehenen Bürotürmen der EU in Brüssel rauchen indes die Köpfe, wie man im Austrittsprozess weitermachen wird, sollte May scheitern und der mit ihr ausgehandelte Brexit-Vertrag obsolet und im Unterhaus abgelehnt werden. In diesem Fall müsste eine Ersatzlösung her. Denn wenn es zwischen den EU-27 und der Regierung in London bis 29. März 2019 Mitternacht keine gültige Vereinbarung gäbe, käme es zum "wilden Austritt". Über Nacht wäre Großbritannien Drittland, EU-Verträge wären außer Kraft. Chaos drohte.

Es wäre umgekehrt aber auch möglich, dass London den Austrittsantrag von 2016 einfach zurückzieht, das Land vollberech tigtes EU-Mitglied bleibt.

Die EU-Europaminister unter Vorsitz von Gernot Blümel befassen sich am Montag mit allen Szenarien. Die EU-27 betonen ihre Einigkeit, Nachverhandlungen werden ausgeschlossen. Allerdings ist es ein offenes Geheimnis, dass die EU-Partner für alles offen sind, sollte May scheitern. Wahrscheinlich ist dann, dass es neue Gespräche gäbe. Die SPÖ forderte eine Brexit-Erklärung von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Parlament – noch diese Woche. (Sebastian Borger aus London, Thomas Mayer aus Brüssel, 17.11.2018)