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Carlos Ghosn soll jahrelang zu niedrige Einkünfte angegeben haben.

Foto: Reuters/Regis Duvignau

Tokio – Er verdient dreimal mehr als die bestbezahlten Konzernchefs in Paris oder Tokio – aber das genügte ihm offenbar nicht. Carlos Ghosn, einer der erfolgreichsten und schillerndsten Autokonzernbosse, ist am Montag in Tokio festgenommen worden. Laut Nissan soll er seine Steuern jahrelang nicht vollständig deklariert und den japanischen Fiskus um 38 Millionen Euro betrogen haben.

"Zahlreiche andere Fehlhandlungen wurden entdeckt, so die Benützung von Firmengeldern zu persönlichen Zwecken", heißt es in einer Aussendung. Die in Japan hart bestraften Delikte Steuerbetrug und Veruntreuung veranlassen die Direktion, die "Absetzung" Ghosns zu verlangen. Diese soll bei einer Verwaltungsratssitzung am Donnerstag erfolgen. Neben Ghosn, der bei Nissan noch den Verwaltungsrat leitet, wurde auch sein "Repräsentativdirektor" Greg Kelly der japanischen Staatsanwaltschaft zugeführt.

Japanische Kabale?

In Paris wird gemutmaßt, ob Ghosn teilweise Opfer einer japanischen Kabale geworden sein könnte. Der 64-jährige Brasilianer mit libanesischen Wurzeln war nicht überall geschätzt und hatte sein stets großes Ego in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. 1999 hatte der Renault-Chef die Partnerschaft mit Nissan eingefädelt und die japanische Marke aus der Krise geführt. Dazu baute er 21.000 Stellen ab, wobei er entgegen japanischer Tradition selbst Direktoren entließ und sich den Übernamen "Costkiller" holte.

Für böses Blut sorgte in Japan, dass Nissan über die Jahre Milliarden in die Gewinnrechnung von Renault abführen musste. Möglich ist das dank der ungleichen Überkreuzbeteiligung: Während Renault 43,4 Prozent an Nissan hält, mussten sich die Japaner mit 15 Prozent der Anteile an Renault begnügen – und keinem einzigen Stimmrecht.

Erfolge in Japan

Ghosn galt jahrelang als der einzige Großpatron, der einen japanischen Konzern erfolgreich zu leiten vermochte, und schaffte es in Tokio sogar, eine Manga-Ikone zu werden. 2015 legte sich Ghosn mit dem damaligen Wirtschaftsminister Frankreichs an – der damals Emmanuel Macron hieß. Der Renault-Nissan-Boss wusste um den verhaltenen Ärger der Japaner und wollten ihnen erstmals Stimmrechte einräumen. Macron war aber dagegen, weil dies den 15-prozentigen Anteil des französischen Staates – und dessen Einfluss – schmälern würde. Macron setzte sich durch.

Im Februar wurde Ghosn in Paris knapp im Amt bestätigt, da er einmal mehr ein Spitzenresultat mit 5,1 Milliarden Euro Reingewinn vorlegte. Auch beanspruchte er erstmals den Platz des weltgrößten Autoherstellers: Renault, Nissan und Mitsubishi hatten 2017 gut 10,6 Millionen Personenwagen verkauft, 100.000 mehr als die Volkswagen-Gruppe (die dazu allerdings 200.000 Lastwagen mehr verkaufte).

Gehaltskürzung

Seinen Kopf bei Renault rettete Ghosn aber auch nur, weil er im Februar eine Kürzung seines Salärs von sieben Mio. Euro um dreißig Prozent schluckte. Bei Nissan verdiente er Schätzungen zufolge zwischen acht und neun Mio. Euro im Jahr. Bei Nissan scheinen seine Tage gezählt. Und bei Renault? Macron, nunmehr Staatspräsident und damit oberster Inhaber der 15-prozentigen Anteile, sprach sich am Montag vorsichtig für die "Stabilität des Konzerns" aus und bezeichnete sich als "wachsam".

Am elegantesten wäre es für alle, wenn Ghosn auch bei Renault selber den Hut nähme. Zu Jahresbeginn hatte er einen neuen Vize-Vorsteher, Thierry Bolloré, eingesetzt. Diskret, aber gut vernetzt, genoss dieser das Vertrauen der Regierung.

Wen die Japaner bei Nissan an die Stelle Ghosns setzen wollen, ist noch offen. Auch die gemeinsame Allianz der beiden Hersteller wird der Franko-Brasilianer nicht mehr führen können – falls diese überhaupt weiter bestehen wird. Die Franzosen wollen allerdings daran festhalten: "Heute muss eher Renault fürchten, allein dazustehen", meint der Autoexperte Bernard Jullien in Anspielung auf die Situation vor zwanzig Jahren, als Nissan in der schwachen Position war. Nach dem Abgang von "Carlos dem Großen" werden die Japaner sicherlich mehr Mitsprache verlangen. (Stefan Brändle aus Paris, 20.11.2018)