Jeden Abend um 18 Uhr, kurz bevor das Glockenspiel des Big Ben zur Verzückung der Touristen die berühmten Westminster Chimes anstimmt, redet Steve Bray, 49, Waliser, seinen Landsleuten zwischen Dover und Derry ins Gewissen. Besser: Er schreit. Sein in den Londoner Wind gebrülltes "Stop Brexit" gehört dieser Tage zum Lokalkolorit im vom dräuenden EU-Ausstieg zerrissenen Westminister. Nationale Berühmtheit wurde dem Münzhändler, der seit September 2017 Tag für Tag von 10.30 bis zum 18-Uhr-Schlag des Kirchturms im Herzen Londons verbringt, aber erst in der vergangenen Woche zuteil.

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Seit mehr als 14 Monaten demonstriert Steve Bray gegen den Brexit.
Foto: AP Photo/Matt Dunham

Während sich die Kameraleute der BBC alle Mühe gaben, den kleinen Mann mit blauem, mit EU-Sternen verziertem Hut und roten Schildern links und rechts in Händen aus dem Bild zu halten, drängte sich Bray behände und hartnäckig ebendorthin zurück. So wurde aus einem eher drögen Interview mit einer Politikwissenschafterin ein veritabler Internet-Hit.

Bray, der nach seinem abendlichen Abgesang Hut, Kostüm und Schilder zur Seite legt und in die U-Bahn steigt, die ihn zu einem Londoner Freund und Unterkunftgeber bringt, gehört seither zu den bekanntesten Anti-Brexit-Demonstranten der Insel. "Ich will die Leute ermutigen aufzustehen, weil sich bisher nicht genug Leute dem Brexit entgegengestellt haben", erklärte er jüngst dem "Guardian".

Ein zweites Referendum ist sein Minimalziel.
Foto: Adrian DENNIS / AFP

Bray, Vater einer Tochter und Großvater eines Enkels, tut das, was er tut, freilich nicht dieses plötzlichen Ruhmes wegen. "Ich will, dass sie in Zukunft die gleichen Rechte haben, die ich so lange genossen habe." Dass er mit seinen Pro-EU-Parolen angesichts des so unweigerlich scheinenden Brexits bei den Briten auf Gehör stoßen wird, bezweifelt Bray keineswegs. "Zu 100 Prozent. Die Menschen erkennen langsam, was das hier für ein Saustall ist. Und dass es uns dadurch nicht besser gehen wird." (flon, 19.11.2018)