The Good, The Bad & The Queen veröffentlichen das Album Merrie Land. Ein gefühliges Werk über Englands Größe und dem drohenden Verlust derselben.

Foto: Pennie Smith

Ach, England. Gebe es doch die Beatles noch, die können alles reparieren. Die würden auf ein Dach steigen, anstecken und loslegen. Der letzte große Kolonialschlager des vereinigten Königreichs könnte den Menschen seiner Heimat den Weg weisen. Gut, Lennon wurde selbst ein Fahnenflüchtiger und ging nach New York. Doch ein Weltbürger wie er könnte den Irrtum des Brexits aufdecken, würde das üble Zusammenspiel von Nationalismus und Boulevardmedien entlarven und Nigel Farage und Konsorten mit All You Need Is Love in den Verliesen of London folterbekehren – man wird ja wohl noch träumen dürfen.

Tatsächlich gibt es in England heute nicht wenige Revolutionsgreise, die das nationale Schnoferl ziehen. Etwa Roger Daltrey von The Who oder Morrissey. Da mag Punk die Queen oder Margaret Thatcher noch so sehr so zum Teufel gewünscht haben, am Ende schwillt vielen doch das Hemd, wenn der Union Jack gehisst wird.

Nichtschwimmer und Wichtigtuer

Zumal das Verhältnis Englands zu Europa historisch von einer gewissen Arroganz geprägt war, wie sie Inselbewohnern manchmal in die Mentalität eingeschrieben ist. Europa? Nichtschwimmer und Wichtigtuer. Und Hitlers Bomben boten ebenfalls keinen Anlass zum Umdenken. Doch in einer globalisierten Welt sollte diese Haltung überholt sein. Gemeinsame Probleme löst man nur gemeinsam, nicht einsam.

Abbild der Demografie

Nun stehen die Beatles aufseiten der Popmusik nicht mehr zur Verfügung, um zur Vernunft zu rufen. In die Bresche springen The Good, The Bad & The Queen. Als sich die Supergroup 2007 erstmals zusammentat, hatte sie keine Ahnung, dass ihr Bandname einmal wie ein Abbild der englischen Demografie wirken würde.

Die Band besteht aus Damon Albarn (Blur, Gorillaz ...), Paul Simonon (The Clash ...), Simon Tong (The Verve) und Tony Allen (Fela Kuti ...). Nach elf Jahren Stille ist jetzt ihr zweites Album Merrie Land erschienen.

Auf Feldforschung

Die Idee zu Merrie Land kam Albarn am Tag nach der Brexit-Abstimmung. Er ging in sich, um die Bedeutung Großbritanniens für sich zu erforschen. Dann fuhr er durchs Land, sprach mit den Menschen, betriebt Feldforschung, um ein Gefühl für jene zu kriegen, die dem Land den Brexit eingebrockt hatten.

Das hat dem 50-Jährigen schon im Vorfeld der Albumveröffentlichung Kritik eingebracht. Wer braucht schon einen Multimillionär, der den Arbeitern im Norden Englands erklärt, dass sie sich irren, wenn sie glauben, der Rückzug ins Nationale würde ihre Probleme lösen? Er hat es trotzdem getan.

Der Titelsong des Albums: Merrie Land.
The Good, The Bad & The Queen

Und Merrie Land kommt ohne Zeigefingerattitüde aus. Albarn und seine drei Spezi formulieren eher Stimmungslagen. Das Album verzichtet auf Parolen. Es ist mehr eine Melange aus individueller Nostalgie, etwas Patriotismus und einer Portion Wehmut. Schließlich liegt die Größe Englands in seiner Weltoffenheit. So sehen es Albarn, Allen, Tong und Simonon – selbst wenn es die dunkle Seite des britischen Kolonialismus war, der manch eine Migration auf die Insel erst ausgelöst hat.

Im Midtempo zur Vernunft

Übersetzt wird diese Kränkung in basslastig vor sich hinstolpernde Songs, denen Schlagzeuger Allen den notwendigen Halt gibt. The Good, The Bad & The Queen verlegen sich durchgängig aufs Midtempo, so als wäre es das Tempo der gesellschaftlichen Mitte. Ihr wird die Vernunft und das Vermögen zur Kompromissfindung nachgesagt, bloß kein Extremismus.

Das Album ließe sich in dieser Gleichmäßigkeit als etwas höhepunktlos beschreiben. Doch angesichts seiner Thematik wirkt diese Gefasstheit eher wie ein bewusster Kunstgriff. Es geht ums Zuhören und Nachdenken. Das gelingt eher, wenn keine Missionare eifern und keine Demagogen zettern.

Im Midtempo liegt im Pop die Kraft zur Versöhnung: Gun To The Head.
The Good, The Bad & The Queen

Aus dieser Haltung heraus wurde auch das Cover des Albums gestaltet. Es zeigt eine Aufnahme aus dem 1945 entstandenen Horrorfilm Dead of Night. Michael Redgrave spielt darin einen Bauchredner, dessen Puppe sich seiner Psyche bemächtigt. Die Botschaft ist: Nicht mehr das Hirn entscheidet, sondern ein diffuses Bauchgefühl. Dagegen tritt Albarn auf. In versöhnlichem Tonfall appelliert er das Gemeinsame.

In Interviews klingt er dabei stellenweise wie ein Touristenführer, der den Glanz und die Glorie Englands hochleben lässt. Das wäre vor ein paar Jahren so nicht gegangen, doch mittlerweile spricht er damit vielen Briten aus dem Herzen.

Die Relevanzfrage

Das müsste er nicht tun. Ob England aus der EU austritt oder nicht, ob der Brexit hart oder weich ausfällt, Albarn könnte es egal sein. Doch als Weltbürger ist es ihm nicht egal, was in seinem Land passiert.

Bleibt die Frage, ob Popmusik auf die Politik Einfluss nehmen kann? – Bleiben wir realistisch. Andererseits besitzt Pop nirgendwo mehr gesellschaftliche Relevanz als in Great Britain – solange es noch ein solches ist. (Karl Fluch, 20.11.2018)