Neoverleger und Bestsellerautor Florian Illies hat einen "1913"-Nachfolger veröffentlicht.

Foto: Griesebach

Wien – 1913. Was ich unbedingt noch erzählen wollte (S. Fischer, 20,60 Euro) ist ein Buch, das zur rechten Zeit kommt. Jedenfalls für dessen Autor Florian Illies, der im August vom Holtzbrink-Konzern als neuer verlegerischer Leiter (ab Jänner 2019) des renommierten Rowohlt-Verlags vorgestellt wurde.

Letzteres unter beträchtlichem Getöse: Renommierte Autoren des Hauses wandten sich in einem offenen Brief gegen die Absetzung von Illies' Vorgängerin Barbara Laugwitz, Spekulationen über die Gründe ihres überraschenden Abgangs schossen ins Kraut, und Rowohlt sagte sein Verlagsfest auf der Frankfurter Buchmesse ab. Kurz, der ganze Verlegerwechsel war ein PR-Disaster.

Seither herrscht – was den Verlag betrifft – Stille. Dafür legt nun der Neoverleger, "Generation Golf"-Erfinder und ehemalige FAZ- und Zeit-Journalist Illies in eigener Sache die Fortsetzung seines Welterfolgs 1913. Der Sommer des Jahrhunderts vor. Das Sachbuch, in dem Illies anekdotenhaft und detailliert von 1913 und vom Leben und künstlerischen Wirken in Wien, Berlin, Paris und München, den "vier Frontstädten der Moderne", erzählte, schlug 2012 wie ein Meteor im Buchmarkt ein.

Übermächtiger Vorgänger

Mehr als 70 Wochen stand das Buch, das kenntnisreich eine Kunstepoche umriss und das Porträt einer Gesellschaft vor dem finalen Umbruch zeichnete, auf den Bestsellerlisten. Es wurde in viele Sprachen übersetzt und wird soeben verfilmt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat den Band in englischer Übersetzung allen Staatschefs geschenkt – als Warnung, dass sich die Geschichte nicht wiederholen dürfe.

Das tut sie nun mit dem Fortsetzungsband doch, der die Dichte seines Vorgängers nur selten erreicht. Rainer Maria Rilke, so viel sei verraten, hat immer noch Schnupfen, und Arthur Schnitzler misst weiter den Puls seines schwierigsten Patienten, der Gegenwart. Kafka bleibt in Felice Bauer verliebt, arbeitet aber zur Selbsttherapie im Gemüsegarten, Hesse wiederum bleibt in seiner Ehehölle gefangen. Derweil plant Maxim Gorki auf Capri die Revolution und hat sich einen Sonnenbrand geholt. Am Berliner Kurfürstendamm gibt es dafür 45 Einkommensmillionäre und viermal so viele Vermögensmillionäre. Russland, Deutschland und Frankreich stocken derweil trotz Friedensappellen ihr Heere personell auf. Man kann ja nie wissen.

Resteverwertung

Alles ist in 1913. Was ich noch sagen wollte, in diesem Buch, das wie sein Vorgänger chronologisch dem Jahresverlauf folgt, also wieder da: das Anekdotenhafte, die Gleichzeitigkeit, die Liebesgeschichten, die Politik, Kunstgeschichte, die Atmosphäre einer Übergangsepoche. Auch den auktorialen Erzähler, der sich im feuilletonistischen Parlandostil direkt an den Leser wendet, kennen wir. Sechs Jahre hatte Illies am ersten Band von 1913 gearbeitet und recherchiert. Zuweilen, sagte er in einem Interview, habe er für einen Halbsatz ein ganzes Buch gelesen. Im Fortsetzungsband, der nun immerhin ein Namensregister enthält, das beide Bände erschließt, wird man indes den Eindruck nicht los, dass Illies sich aus dem gewaltigen Recherchesteinbruch bediente – und Reste verwertet.

Des Risikos, die wirklich substanzvollen Geschichten schon im ersten Band verarbeitet zu haben, dürfte sich Illies bewusst sein, zumal ihn die Dramaturgie zu Wiederholungen zwingt. Wer den ersten Band gern gelesen hat, wird freilich auch den zweiten Band mögen, der von Begeisterung, Erzählfreude und einem Glauben an die Kunst getragen ist, der ansteckend wirkt. Letzteres auch, weil sich der studierte Kunsthistoriker Illies vor jenen verneigt, die Kunst schaffen. Etwa vor Virginia Woolf, die 1913 das Manuskript ihres ersten Romans The way out an ihren Verlag schickte. Bis 1929 wurden davon 479 Exemplare verkauft. (Stefan Gmünder, 20.11.2018)