May nimmt auch die Industrie in die Pflicht.

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Die britische Premierministerin Theresa May hat am Montag bei der Wirtschaft für den vorläufigen Austrittsvertrag geworben. "Ich bin zur Umsetzung des Deals entschlossen", sagte die konservative Regierungschefin auf der Jahrestagung des Industrieverbands CBI. Ihre Warnungen vor einem Chaos-Brexit ohne vertragliche Einigung erhielten Unterstützung durch prominente Industriestimmen. "Das No-Deal-Szenario käme einer Abrissbirne für die Wirtschaft gleich", sagte CBI-Präsident John Allan.

Die Leiter wichtiger Firmen sowie Lobbygruppen rufen seit Monaten zum Kompromiss auf. Gleichzeitig haben viele Unternehmen damit begonnen, millionenschwere Vorkehrungen für den Chaos-Brexit zu treffen. Dementsprechend düster stellt sich die Stimmung der Betroffenen dar. Dem Datenanbieter IHS Markit zufolge erwarten nur 32 Prozent einer Gruppe regelmäßig befragter Firmen für 2019 bessere Geschäftsbedingungen. Dies stellt den pessimistischsten Wert der vergangenen neun Jahre dar. "Brexit-Sorgen haben die Pläne für Investitionen und Neueinstellungen schwer belastet", glaubt IHS-Ökonom Tim Moore.

Industrie in der Pflicht

Die Premierministerin hob vor den Wirtschaftsvertretern die unternehmensfreundliche Politik ihrer Regierung hervor, verwies auf sinkende Unternehmenssteuern sowie erhebliche Beihilfen zur Ausbildung junger Mitarbeiter. Dabei stehe die Industrie aber auch selbst in der Pflicht. Als eine der Stärken des Austrittsvertrags stellte May das Ende der Freizügigkeit innerhalb des Binnenmarktes heraus. Nach Ende der bis Ende 2020 geplanten Übergangsphase werde Großbritannien die Zuwanderung kontrollieren können. "EU-Bürger haben dann keine besseren Chancen als ein Ingenieur aus Sydney oder Softwareentwickler aus Delhi."

Zwar haben Wirtschaftslobbyisten wie CBI-Generaldirektorin Carolyn Fairbairn gerade diesen Aspekt der Tory-Brexitpläne stets kritisiert. Mays Rede wurde aber mit Applaus aufgenommen.

Zweifel zurückgestellt

Angesichts des harten Widerstands konservativer EU-Hasser hielten es die Teilnehmer der Jahrestagung offenbar für angezeigt, eigene Zweifel zurückzustellen. Dem Vernehmen nach wird May im Vorfeld des für Sonntag anberaumten EU-Gipfels zudem noch ausdrückliche Schützenhilfe von Regierungskollegen der 27 Partnerländer erhalten.

EU-Befürworter wittern eine zweite Chance.
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Für die von prominenten Brexit-Propagandisten wie Jacob Rees-Mogg angekündigten Vertrauensabstimmung in der Tory-Fraktion fehlten auch am Montag noch Stimmen, um das Quorum von 48 Hinterbänklern zu erreichen. Selbst EU-Feinde wie Ex-Parteichef Michael Howard rieten von der Ablenkung eines innerparteilichen Tauziehens ab.

Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat unterdessen Büros in Frankfurt, Paris und Mailand verstärkt, die Bank of America verlegt seinen Europa-Hauptsitz nach Dublin, die großen australischen Banken CBA und Macquarie haben Dependancen in Amsterdam und Dublin gegründet. Einer Studie des Beratungsunternehmens EY zufolge planen rund ein Drittel von 222 befragten Finanzunternehmen den teilweisen oder gänzlichen Wegzug aus London. (Sebastian Borger aus London, 20.11.2018)