Markus Ragger: "Caruana ist zweifellos der gefährlichste Herausforderer. Wenn einer Carlsen schlagen kann, dann ist es er."

Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Die Schach-Weltmeisterschaft zwischen Titelverteidiger Magnus Carlsen und Herausforderer Fabiano Caruana begann mit einer Serie von acht Remis. Stellt sich da Langeweile ein?

Ragger: Nein, die Partien wurden ausgekämpft, es wurde alles probiert. Keine Begegnung hätte weitergehen können oder sollen. Remis ist im Schachsport ein mögliches Ergebnis. Dass es sich bei einer Weltmeisterschaft häuft, ist auch dem Format geschuldet. Ein Sieg kann zum Titel reichen.

STANDARD: Gehen die Spieler also nicht ihr übliches Risiko ein? Sind sie durch den Modus gehemmt?

Ragger: Man merkt, dass es eine Weltmeisterschaft ist. Der Titel steht auf dem Spiel, dementsprechend legen die Kontrahenten ihre Taktik an. Die Eröffnungen sind konservativer als bei anderen Turnieren. In den Momenten, in denen ein gewisses Risiko gefragt gewesen wäre, entschied sich insbesondere Carlsen öfter für den sichersten Weg.

STANDARD: Kritiker sehen Carlsen nicht in der besten Verfassung. Fehlt ihm die Topform?

Ragger: Seine Elo-Zahl war schon mal deutlich höher. Der Abstand zur Konkurrenz ist geschmolzen. Ist Carlsen schwächer geworden oder die anderen besser? Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Caruana ist aber zweifellos der gefährlichste Herausforderer. Wenn einer Carlsen schlagen kann, dann ist es er.

Der österreichische Großmeister Markus Ragger analysiert die achte Partie der Schach-WM 2018.
Österreichischer Schachbund

STANDARD: Welchen Eindruck macht der Herausforderer bisher? Ist er dem Druck einer Weltmeisterschaft gewachsen?

Ragger: Caruana war in der ersten Partie unsicher, konnte sich anschließend stabilisieren und ist mittlerweile voll im Match angekommen. Hier spielen die zwei besten Spieler der Welt gegeneinander. Das Niveau ist sehr hoch, es ist ein Duell auf Augenhöhe. Sollte es nach zwölf Partien jedoch zu einer Entscheidung im Schnellschach kommen, ist Carlsen im Vorteil. Normalerweise würde ich ihn zu 90 Prozent favorisieren. Aber ein Tiebreak hat bei einer Weltmeisterschaft eigene Gesetze.

STANDARD: Muss Caruana diesen Showdown im Schnellschach mit aller Kraft verhindern?

Ragger: Er hat seine Strategie und wird sich nicht von schlechten Erfolgsaussichten im Schnellschach leiten lassen. Damit wäre er auch nicht gut beraten. Blicken wir auf die Weltmeisterschaft 2010 zurück. In der zwölften und letzten Partie hatte Herausforderer Wesselin Topalow seine Stellung mit Weiß gegen Titelverteidiger Viswanathan Anand grundlos überzogen und das Match so verloren. Ja, Anand hätte im Schnellschach die besseren Karten gehabt. Aber wer weiß schon, was in einem Tiebreak passiert wäre?

STANDARD: Sie haben sich schon mit Carlsen und Caruana gemessen. Wie verliefen die Begegnungen?

Ragger: Gegen Carlsen habe ich zweimal verloren, einmal im klassischen Schach und einmal im Blitzschach. Gegen Caruana habe ich öfter gespielt. Er war immer besser. Einmal habe ich ihn allerdings geschlagen, 2014 bei der Weltmeisterschaft im Blitzschach. Das war wirklich eine feine Sache. (Philip Bauer, 20.11.2018)