"Kinder sind immer Versuchskaninchen" von Bildungsreformen, hat Konrad Paul Liessmann, Philosophie- und Ethik-Professor an der Universität Wien, gestern, Montagabend, bei einer Diskussionsveranstaltung in Wien gesagt. Jede neue didaktische Methode müsse direkt am Kind ausprobiert werden. Nicht anders sei es mit der Digitalisierung, die nun ins Schulsystem einzieht.

Bei einem vom Bildungsministerium veranstalteten "Science Talk" diskutierten Experten über die Vor- und Nachteile der Digitalisierung in der Schule. In der Mitte stand dabei die Frage nach dem sinnvollen Einsatz neuer Technologien.

Dabei waren die Meinungen gespalten: Digitalisierung bedeutet für Liessmann einen Rückgang der haptischen Fähigkeiten – wenn beispielsweise das Tippen am Computer das Erlernen der Handschrift ersetzt. Die Feinmotorik hänge aber mit der Gehirnentwicklung zusammen, weshalb es verantwortungslos sei, schon bei Kleinkindern die haptischen Fähigkeiten zugunsten der Technologie zu vernachlässigen – Gehirnentwicklungen würden deswegen vielleicht nicht stattfinden können.

Kreativität hemmen

Eine zu frühe Digitalisierung von Lern- und Erfahrungsprozessen würde außerdem die Kreativität hemmen, so Liessmann. "Wenn uns am Tablet alles gezeigt wird, muss man sich nichts mehr vorstellen, dann brauche ich keine Fantasie mehr." Es spreche für die Robustheit des Menschen, dass er neue Methoden des Bildungssystems "überlebt, ohne großen geistigen Schaden zu nehmen. Das wird bei der Digitalisierung genauso sein."

"Die Schreibschrift steht überhaupt nicht zur Debatte", wollte Heidrun Strohmeyer, Bereichsleiterin der IT des Bildungsministeriums, die Kirche im Dorf lassen. Die Handschrift sei nicht gefährdet. "Die Frage des Technologie-Einsatzes in der Volksschule geht in eine ganz andere Richtung" wie beispielsweise interaktive Geografie- und Geschichte-Stunden. Der Einsatz neuer Technologien müsse altersspezifisch sinnvoll sein, erklärte Erich Neuwirth von der Forschungsgruppe CSLEARN – Educational Technologies der Universität Wien. Feinmotorik sei nicht an die Handschrift gebunden, sind sich die beiden sicher. Wenn beispielsweise Kinder Roboter bauen, helfe das auch der Feinmotorik.

Mehr Möglichkeiten

"Schreiben ist Mittel zum Zweck. Vielleicht ändert sich das Mittel, aber der Zweck bleibt gleich", sagte Harald Leitenmüller von der Internetoffensive Österreich und CTO bei Microsoft Österreich. In der digitalen Welt stünden mehr Möglichkeiten zur Kommunikation zur Verfügung als in der analogen Welt. "Das gesprochene Wort verklingt, aber wenn es digital gespeichert wird, bleibt es erhalten." Das bringe enorme Vorteile zur weiteren Verarbeitung, Analyse, Aufbereitung. In der Schule sei es allerdings zu wenig, wenn jeder Schüler sein eigenes Tablet besitzt. Vielmehr brauche es Bildungsplattformen, Konzepte und speziell ausgebildete Lehrer.

"95 Prozent der Inhalte im Internet sind Schrott", sagte Neuwirth, aber die restlichen fünf Prozent seien es wert. Damit diese Technologien nicht missbraucht würden, müssten Bildungsverantwortliche Orientierung geben und im korrekten Umgang damit schulen.

Wichtig sei es, so Strohmeyer, Technik nicht nur hinzunehmen, sondern kritisch zu hinterfragen – als richtig eingesetztes Lernwerkzeug habe sie dann großes Potenzial. Lehrer stünden hier vor großen Herausforderungen. Vor zu großen Herausforderungen, meinte Liessmann. So schnell, wie sich die neuen Technologien weiterentwickeln würden, käme die Schule nicht hinterher. Etwas, das bequem und schnell erlernbar sei, müsse nicht zum Schulgegenstand gemacht werden. Nicht umsonst gäbe es ausgerechnet im Silicon Valley Schulen, in denen digitale Endgeräte verboten sind. (APA, 20.11.2018)