Manche Dinge will man dann nicht wahrhaben. Oder nicht hören. Und mit einer Ansage wie dieser an einem Montagmorgen aus dem Flugzeugdämmerschlaf gerissen zu werden gehört nicht nur für mich dazu: "Ladies and gentlemen, we have just started our descent to Vienna Airport. Local time: 5:30 am. Local temperature -2 degrees Celsius, light snowfall."

Wenn der Blick aus dem Fenster dann betätigt, dass der Mann im Cockpit nicht gescherzt hat, ist es kein Trost, dass dieses Wetter Ende November eh normal ist. In Mitteleuropa zumindest.

Nur: Will man dann hier sein? Vor allem: Will man das, wenn man 24 Stunden zuvor bei 25 Grad in strahlender Sonne kurz/kurz unterwegs war und hoffte, dass das Match "Schweiß und Sonne versus Sonnenschutzfaktor" zumindest bis ins Ziel unentschieden stehen würde?

Foto: thomas rottenberg

Denn mein Sonntag hatte so ausgesehen. Kurz nach k5, also der Halbzeit, hatte es endlich Wasser gegeben. Genug, um sowohl zu trinken als auch es über den Kopf zu leeren. Und dann auf die Uhr zu schauen. Kann man bei 40 Minuten, die man für fünf Kilometer gebraucht hat, überhaupt von "Laufen" sprechen? Aber, wenn nicht: Wieso schwitzen alle ringsum ebenfalls? Und wieso rennt, sobald es auch nur ein bisserl bergauf geht, niemand? Und wieso geht es ständig bergauf? Aber ganz allgemein: Welcher Idiot stellt eine Millionenmetropole auf 2.400 Meter Seehöhe, welcher Idiot veranstaltet dort einen Volkslauf – und welcher Idiot fliegt für zweieinhalb Tage nach Afrika, um sich diesen Stunt zu geben?

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Es ist ja nicht so, das ich nicht gewusst hätte, worauf ich mich einließ, als ich diese Einladung angenommen hatte. Ob ich Lust hätte, zum "Great Ethiopian Run" zu kommen, hatte die PR-Dame der Agentur der Ethiopian Airlines gefragt: Die Airline sei einer der Hauptsponsoren des größten Straßenlaufs Afrikas. Und um diesen Lauf auch in Europa ein bisserl bekannter zu machen, organisiere sie gerade eine Pressereise nach Addis Abeba.

Ich musste lachen.

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Schließlich war ich schon einmal dort gewesen – und mitgelaufen. 2015 war das gewesen. Das war damals schon eine ziemlich grandiose Laufparty gewesen: Harald Fritz, damals noch längst nicht mein Coach, geschweige denn ein guter Freund, hatte eine Gruppenreise organisiert: einerseits, weil er die Möglichkeiten, in Äthiopien zu trainieren, ausloten wollte, andererseits, weil der Great Ethiopian Run einer der großen, aber doch geheimen Sehnsuchtsläufe der Laufwelt ist. Ich hatte zuvor noch nie von dem Lauf gehört gehabt. Aber als Fritz mir 2015 davon erzählte, wurde ich neugierig. Hörte ihm zu. Googelte ein bisserl. Und war angefixt: Und wie ich da hin wollte! Damals, 2015.

Und das ganze jetzt, 2018 und eingeladen, noch einmal? Na, aber sicher! Gerne.

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Was die PR-Frau nicht wusste: Ich hatte ohnehin überlegt, wieder nach Äthiopien zu fliegen. Auf eigene Kosten – und als Teil der Reisegruppe, mit der Harald auch heuer wieder nach Addis zum Great Run reisen würde.

Und nicht einfach nur mit Handgepäck, sondern schwer bepackt: Mittlerweile hält mein Coach in Äthiopien im Frühjahr regelmäßig Trainingscamps ab. Um daraus ein bisserl mehr zu machen als eine reine Gruppenreise mit Sport, kombiniert er das aber mit einem Charity-Projekt. Zum Great Run im Herbst flog er heuer auch – mit einer kleinen, feinen Gruppe. Unter anderem war ORF-Moneymaker Alexander Rüdiger mit dabei.

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Statt wie bei den meisten Airlines üblich einen, durfte jeder Reiseteilnehmer bei Ethiopian drei Koffer mitnehmen. Nur: Je zwei davon füllte uns Fritz mit Laufschuhen, Laufgewand und anderem Brauchbarem, aber nicht mehr Verwendetem proppenvoll an. Vor Ort wird das dann aber nicht als Almosen verteilt, sondern bei einem kleinen Laufcup ausgespielt: so, dass zwar jeder etwas bekommt, man sich aber trotzdem (zumindest ein bisserl) dafür anstrengen muss.

Der Presse-Trip kam da wie gerufen: Statt nur seinen Reiseteilnehmern konnte Fritz jetzt auch jedem der Journalisten aus Österreich Mehrgepäck "aufbrummen".

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Der Benefit für uns, in diesem Fall die Pressegruppe: Harald Fritz würde mit uns am Freitag, dem Tag der Ankunft, nicht nur in das Yaya Village, wo er mit seiner Gruppe abstieg, erkunden, sondern auch einen kleinen Akklimatisationslauf machen.

Das klingt jetzt nicht unbedingt nach viel, ist es aber: Wenn man in Addis Abeba aus dem Flieger steigt und im Hotel dann nur ein paar Treppen in den zweiten oder dritten Stock nimmt (ich wohnte im siebenten und der Lift war kaputt), bleibt einem rasch der Atem weg, denn Äthiopiens Hauptstadt liegt 2.400 Meter über dem Meer. Nur sieht man ihr das nicht an: Look & Feel sind der einer afrikanischen Megacity. Vier Millionen Menschen. Der Großteil bettelarm. Das sieht man sehr wohl. Die Höhen nicht. Die spürt man nur.

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Das Yaya Village liegt elf Kilometer außerhalb von Addis. Und noch ein bisserl höher: auf über 2.700 Metern. Wir trabten supergemächlich los und waren nach 15 Minuten fix und fertig. "Wenn ihr euch hier umschaut, seht ihr lauter Dreitausender", lachte Fritz.

Das Camp selbst ist nicht einfach irgendein Hotel oder Clubkomplex, sondern ein Trainingscenter. Und es wird nicht von irgendwem geschupft, sondern von einem Mann, dessen Namen nicht nur in Äthiopien von so gut wie jedem oder jeder, der oder die sich fürs Laufen interessiert, mit einem geradezu andächtigen Tonfall ausgesprochen wird: Haile Gebrselassie. Den Grund, auf dem das Village steht, bekam er vom Staat als Prämie für einen seiner beiden Olympiasiege über 10.000 Meter. In Äthiopien nicht unüblich: Auch Kenenisa Bekele betreibt – wenige Kilometer weiter – ein auf diese Weise gegründetes Trainingscamp.

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In beiden Camps trainieren internationale Spitzenläufer Seite an Seite mit der lokalen Elite, äthiopischem Nachwuchs und Jedermann-Läuferinnen und -Läufern aus der ganzen Welt. Dass die Verhältnisse "afrikanisch" sind, weiß man vorher und nimmt es in Kauf: Etliche der besten Läufer der Welt kommen von hier. Oder sie kommen hierher.

Ein bisserl Demut und ein bisserl zurückstecken steht da jedem von uns gut an, nicht nur wenn es ums Laufen geht: Obwohl sich Äthiopien rasant entwickelt, obwohl das Land sich mittlerweile auch als Tourismusdestination etablieren will (in der Gruppe, mit der wir Bus und Programm teilten, waren neben einer Redakteurin der norwegischen "Runner's World" vor allem Reiseveranstalter) ist der 100-Millionen-Einwohner-Staat immer noch eines der ärmsten Länder der Welt.

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Und eine lupenreine Demokratie ist Äthiopien wahrlich nicht: Im Parlament besetzt die Regierungskoalition 100 Prozent der Sitze. Sei 2015 wurden über 11.000 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert. Demonstrationen werden oft brutal niedergeknüppelt.

Seit kurzem ist aber ein Aufbruch zu spüren – oder zumindest angekündigt. Und das von oben: Im Jänner wurde angekündigt, alle politischen Gefangenen freizulassen. Mit dem Nachbarland Eritrea beginnt nach jahrzehntelangem blutigem Konflikt gerade so etwas wie ein Friedensprozess. Erstmals ist eine Frau Staatspräsidentin. Oppositionelle werden eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren.

Foto: thomas rottenberg

Dennoch spricht allein das Straßenbild eine deutliche Sprache: Sogar in Seitenstraßen steht alle 25 Meter ein Polizist. Mit Schlagstock oder Kalaschnikow. Fährt ein Polit- oder VIP-Konvoi durch, wird nicht nur der komplette Straßenzug gesperrt, sondern auch Gehsteige und Gastgärten polizeilich geräumt.

Noch verstörender als derartige Aktionen und die unvermittelte Grobheit, mit der das durchgezogen wird, ist die lammfromme Selbstverständlichkeit, mit der gefolgt und nicht einmal hinterfragt wird – obwohl in diesem Land schon die Frage nach der Uhrzeit zu heftigen Diskussionen führen kann. (In Äthiopien beginnt der Tag um sechs Uhr früh.)

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Dass unsere Gastgeber lieber auf andere Aspekte hinwiesen, ist wenig verwunderlich. Schließlich hat Äthiopien eine lange und spannende Geschichte, die lange vor Mussolini, Haile Selassie, Hungersnöten und (Bürger-)Kriegen begann. Unter anderem wurde hier 1974 "Lucy" gefunden, das Teilskelett eines Australopithecus afarensis. Lucy (die Äthiopier nennen sie "Dinknesh", das bedeutet "Du bist wundervoll") ist etwa 3,2 Millionen alt Jahre alt.

Obwohl sie gerade Hobbit-Größe hatte, war sie eine erwachsene Frau – und unsere direktere Vorfahrin. Auch wenn es anderswo immer wieder vermeintliche Sensationsfunde gibt: Lucy ist so unumstritten wie die "Laborbedingungen", unter denen die Natur hier werken konnte: Das Hochland ist für die Tsetsefliege zu hoch. Das Klima ist konstant, der Boden fruchtbar: ideale Entwicklungsbedingungen – und Ausgangspunkt einer schönen Rastafari-Ansage: "Next time you come to Ethiopia, you do not need visa. Tell immigration: ‚I am coming home – we all come from here.'"

Foto: thomas rottenberg

Aber zurück in die Gegenwart, zum Great Ethiopian Run. Der wäre ohne Haile Gebrselassie undenkbar. Als der Lauf vor 18 Jahren das erste Mal stattfand, stand der Ausnahmeläufer auf dem Höhepunkt seiner sportlichen Karriere: Für seine Landsleute war und ist er ein Symbol. Für das, was möglich ist. Auch in oder aus Afrika. Für Nichtafrikaner ist Haile eine charismatische Integrationsfigur. Einer, der freundlich und fröhlich bleibt, bis auch der letzte Fan sein Selfie hat. Und der sich Menschen merkt: 2015 hatten wir eine kurze Privataudienz nach dem Lauf. Ich fragte, wie er meiner Mutter das Laufen nahebringen würde.

Heuer lief ich ihm im Getümmel der Pre-Party über den Weg. Nach "Vienna, 2015, here" lachte er kurz: "How is your mother?"

Gebrselassie ist mehr als ein "Sportpensi": Er betreibt unter anderem Immobilienunternehmen und Freizeitbetriebe. Ist Autoimporteur. Und Werbetestimonial. Wo er auftaucht, stockt der Verkehr – auch beim Great Run. Als er dort die Läufer ins Rennen schicken wollte, blieben Tausende wie ein Mann stehen: Selfie-Zeit.

Foto: thomas rottenberg

Der Lauf. Endlich. Wer sich vom Great Ethiopian Run eine Laufveranstaltung erwartet, bei der die Läufer fliegen, wie man es von afrikanischen Spitzenläufern bei Spitzenevents kennt, wird enttäuscht sein. Nur kommt ohnehin niemand mit dieser Vorstellung hierher.

Denn der Great Run ist vor allem eines: eine unglaubliche Straßenparty.

Eine Party, die sich über zehn Kilometer hinzieht, bei der an einer Start- und Ziellinie (die viele gar nicht bemerken) halt eine Uhr läuft, bei der es aber im Hauptfeld weder Startnummern noch Chips noch individuelle Zeiten noch Wertungsklassen gibt.

Foto: thomas rottenberg

All das ist der Masse vollkommen egal. Der Lauf firmiert zwar als "größte Laufveranstaltung Afrikas", aber wenn von den rund 47.000 Menschen, die heuer mit dabei waren 1000 die ganze Strecke laufen, ist das hoch geschätzt.

Aber die, die wirklich laufen, sind schnell. Solomon Berega, der Sieger, brauchte heuer 28:36. Zeyneba Yemer, die Siegerin, war nach 32:30 wieder beim Start. Da war ich noch nicht einmal bei k5, an der Halbzeitmarke – dabei hatte ich mir eigentlich vorgenommen, es sportlich anzugehen.

Foto: thomas rottenberg

Nur: Das geht nicht. Genauer: Es würde zwar gehen, wäre aber dann etwas vollkommen anderes. Einer der Journalisten versuchte es und hatte Glück. Erstens, weil er im ersten Drittel starten konnte, also nicht so viele kompakte Sing- und Tanzblöcke durchqueren musste.

Zweitens, weil er zwei "Locals" fand, die mit ihm liefen und den Weg freibulldozerten. "Alleine hätte ich das nicht geschafft." Drittens wusste er, dass all das, woran er vorbeiflog, von uns auch für ihn "eingefangen" werden würde. Ich lief zwar entschlossen los, ließ mich aber ziemlich sofort ablenken: "Hey, may we take a picture?"

Foto: thomas rottenberg

Aber auch ohne Selfie-Stopps wäre es schade gewesen, einfach nur vorbeizurennen und die Mitlaufenden nicht ein bisserl genauer anzusehen: Herrn Hussein etwa, der würdevoll schreitend mit seiner ganzen Familie den Lauf bestritt. Und stolz seine Finisher-Medaillen auf der Brust trug: 17 Stück, eine von jedem der bisherigen Läufe. "I was here every year."

Foto: thomas rottenberg

So wie Herr Hussein machen es hier fast alle: Jeder und jede legt den Run so an, wie es eben der eigenen Laune und Motivation entspricht. Nicht ohne Grund baten uns unsere Gastgeber (offiziell – aber das erfuhren wir erst vor Ort, und es machte auch keinen Unterschied – nicht die Airline, sondern deren Tochter Ethiopian Holidays) mehrfach, doch darauf hinzuweisen, dass der Run doch längst ein Event sei.

Foto: thomas rottenberg

Vor allem für ein europäisches Zielpublikum ist das nachvollziehbar: Wir kennen nur die "fliegenden" Afrikaner an der Spitze der großen und kleineren Wettkämpfe dieser Welt. Und pauschalieren dann: Afrikanische Läufer sind schnell. Also ist Laufen in Afrika zwar vermutlich super – aber wohl auch ein bisserl frustrierend.

Foto: thomas rottenberg

Das stimmt, ist aber gleichzeitig grundfalsch. Natürlich laufen uns jene Afrikaner, die wir beim Laufen sehen und treffen, in Grund und Boden. Das liegt zum einen daran, dass es hier statistisch gesehen mehr talentierte Läuferinnen und Läufer gibt.

Darüber hinaus ist Laufen hier in vielen Ländern aber auch immer noch ein "Transportmittel": Haile Gebrselassie lief täglich zur Schule und zurück. Kinder in Europa werden mit dem SUV "angeliefert". Das wirkt sich aus.

Foto: thomas rottenberg

Außerdem ist Laufen für viele Afrikaner eine von wenigen, wenn nicht die einzige Möglichkeit, dem Kreislauf aus Armut, Elend und Chancenlosigkeit zu entkommen: Rund um Addis sieht man in den Wäldern und auf den weiten Ebene ständig Läuferinnen und Läufer beim Training. Und sie sind schnell. Wahnsinnig schnell. Davon kann Harald Fritz bei seinen Charity-Läufen im Yaya Village Romane erzählen: Wer im Leben nur eine Chance hat, tut alles, um sie zu nutzen.

Foto: thomas rottenberg

Dennoch täuscht dieses Bild. Ist ein Klischee. So wie das von den perma-skifahrenden Österreichern: Auf dem Flug nach Addis Abeba war "Sound of Music" im Flugzeug-Entertainmentpackage.

Mein Nachbar, ein Äthiopier, zeigte auf das Titelbild und summte eine Melodie: Als ich die Melodie nicht erkannte, klärte er mich auf und war bitter enttäuscht, als ich gestand, dass weder ich noch irgendeiner meiner Bekannten den Film je gesehen hätte. Geschweige denn sehen wolle.

Foto: thomas rottenberg

Ähnlich ist es mit den laufenden Afrikanern: Die, die es nicht tun, sieht man ja nicht. Mehr noch: Wer bettelarm ist und in einem Land mit hoher Analphabetismusquote und minimaler sozialer und gesundheitlicher Grundversorgung lebt und nicht zu 150 Prozent sicher ist, dass das eigene sowie das familiäre Fortkommen zumindest mittelfristig gesichert sind, hat in der Regel andere Prioritäten, als nach der Arbeit im Park (falls es den überhaupt gibt) ein bisserl "joggen" zu gehen.

Foto: thomas rottenberg

Ich habe auch bei anderen Aufenthalten in Afrika deshalb auch kaum je städtische (oder auch ländliche) "Hobbyläufer" gesehen, wie sie in Europa, den USA oder sonstwo längst zum Alltagsbild gehören: Diese Form und dieses Konzept des Laufens sind ein Privileg unseres Superwohlstands. Ein First-World-Benefit: Dafür brauche ich mich weder zu schämen noch zu genieren oder zu rechtfertigen – aber es tut gut, hin und wieder darauf hingewiesen zu werden.

Foto: thomas rottenberg

Der Great Run ist da ein großartiger Lehrmeister. Weil er all das nicht mit dem Zeigefinger oder einem Vorwurf vermittelt: Hier mit zehntausenden fröhlichen Menschen gemeinsam unterwegs zu sein, mit ihnen zu lachen, zu schwitzen, zu quatschen, sich von und mit ihnen fotografieren zu lassen ist wunderschön. Nicht obwohl, sondern gerade weil es so viel relativiert.

Foto: thomas rottenberg

Egal, ob man rennt, steht, tanzt oder sich zu denen setzt, die einen aus den Straßenlokalen – während des Laufes! – auf ein Bier zu sich winken wollen: Der Great Run ist – zumindest für mich – neben all dem Spaß am Laufen und dem Kontakt mit anderen Menschen auf und entlang der Strecke eine Lektion in Demut.

Und das eben nicht in der gängigen Form eines vorwurfsvoll und mit schwarzer Pädagogik vorgetragenen Memento mori – sondern lachend, strahlend und (so gut ich es eben kann) auf Augenhöhe mit allen, mit denen ich diese Straße und diesen Planeten teil.

Foto: thomas rottenberg

Aber natürlich hat diese Metaebene kaum wer im Kopf, wenn er oder sie als einer von vielleicht 2.000 "Weißbroten" durch Addis Abeba läuft: Man ist viel zu sehr damit beschäftigt, Eindrücke, Bilder und Impressionen zu sammeln und zu hoffen, sie irgendwann auch verarbeiten zu können. Und möglichst wenig davon zu vergessen oder zu verlieren.

Foto: thomas rottenberg

Und manchmal vergisst man dann glatt aufs Laufen. Na und? Es gibt Wichtigeres im Leben – das Leben selbst nämlich. Menschen, die einem begegnen. Ihre großen und kleinen Geschichten – und das, was uns darin verbindet.

Selbst wenn das nur ein flüchtiges Lachen und ein kleiner Blick zwischen zwei Wildfremden ist, die da zufällig zur gleichen Zeit am gleichen Ort das Gleiche tun. Laufen ist da wieder einmal nur eine Metapher: #morethanrunning .

Foto: thomas rottenberg

"Es waren die längsten zehn Kilometer meines Lebens", schrieb Markus Steinacher, einer der mitreisenden Journalisten und (nebenbei und zufällig) auch einer meiner Vereins- und Trainingsbuddies, nach dem Lauf auf Facebook. Und auch Alexander Rüdiger fand im Ziel vor lauter Lachen und Strahlen und Freuen kaum Worte.

Foto: thomas rottenberg

Ob ich ein drittes Mal kommen würde, fragte mich danach ein TV-Team. Na klar. Ob ich Äthiopien als Urlaubsland, den Great Run als Grund für die Reise empfehlen würde?

Ich strahlte ein "Definitely" in die Kamera – und meinte es. Obwohl ich mir auch auf die Zunge biss: Alles Relativierende, alles Einschränkende, alles, was Reiseanbieter, die auf europäische Normalo-Reisende fokussieren, da noch lernen müssen, verkniff ich mir.

In einem TV-Sager hätte es keinen Platz: Es würde als Beleidigung und Herabwürdigung verstanden werden.

Foto: ©sara skarabot pedersen

Denn das Publikum, das diesen Beitrag sieht, schaut nicht aus einer verwöhnt-übersättigten europäischen Pauschaltouristenperspektive, sondern aus der der "Locals" – und ist stolz. Auf diesen Lauf. Auf das, was er kann. Auf das, was er ist, auf das, was er ausstrahlt. Auf das, was er bedeutet.

Zu Recht – und niemand hat das Recht, ihnen diesen Stolz und diese Freude kleinzureden. Schon gar nicht ein paar verwöhnte Europäer, die für ein paar Tage ihr Luxusleben einen Hauch einschränken – und alles besser zu wissen glauben. (Thomas Rottenberg, 21.11.2018)

Mehr Bilder aus Äthiopien gibt es auf Tom Rottenbergs Facebook-Account – mehr Bilder vom Great Ethiopian Rund (und ein paar verwackelte Videos) in seinem Lauf-Fotoalbum auf Facebook).

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Reise zum "Great Ethiopian Run" war eine Einladung von Ethiopian Airlines und Ethiopian Holidays.

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Foto: thomas rottenberg