Grün durch die Ohren: Erwin Wurm, "Gurke" (2017)

Foto: Studio Erwin Wurm

Erwin Wurm, "Staubsauger" (2017)

Foto: Studio Erwin Wurm

Erwin Wurm, "Petrol Asthma" (2017/2018)

Foto: Studio Erwin Wurm

Kopfstehende Lkws, gestauchte Häuser, kugelrund aufgeblähte Pullunderträger – an derlei Skulpturen denkt man beim Namen Erwin Wurm. Oder an seine "One Minute Sculptures", jenen Miniperformances mit Alltagsdingen, bei denen sich zum Mitmachen Geneigte zum Beispiel Buntstifte in die Nase stecken können oder mit Besen allerlei Verrenkungen anstellen.

Absurditäten, wie sie auch in der aktuellen Ausstellung Erwin Wurms Peace & Plenty zu sehen sind – jedoch nicht als Skulpturen. Die Albertina zeigt Superstar Wurm von einer ungewohnten Seite: als Zeichner. Rund 300 Blätter versammelte Kuratorin Antonia Hoerschelmann auf engstem Raum.

Passend erscheint eine solche Überflutung insofern, als das Zeichnen für Wurm selbst einem Strom gleichkommen dürfte. Beim täglichen Zeichnen ist ihm die Arbeit mit Buntstift, Bleistift oder Aquarellfarben ein Mittel des Nachdenkens über die Welt und die Menschen.

Verschiedene Denkantriebe

Vermutlich weil unterschiedliche Werkzeuge das Denken verschieden antreiben, ist die Schau kunterbunt geraten. In minimalistische schwarze Filzstiftstriche gefasst ist ein Selbstporträt des Künstlers gemeinsam mit Schriftstellerin Friederike Mayröcker. Ein karikaturistisches Porträt der Fotografin Elina Brotherus hingegen verschwimmt in roten Wasserfarben.

Die Schau nimmt sich zunächst wie ein Zerrspiegelkabinett der Geistesgeschichte aus – ein glupschäugiger Typ namens "J. W. v. G." empfängt einen ebenso wie später Eugène Ionesco, Vater des Absurden Theaters. Bei vielen Porträts sah der Künstler aber davon ab, Namen anzugeben. Beispielhaft für den Schritt weg vom Konkreten und hin zu Allgemeinen ist ein Michael Haneke gewidmetes Blatt, dessen eindeutiger Physiognomie Wurm einzig die lakonische Angabe beifügte: "Filmemacher steht auf dem von seiner Frau geklöppelten Deckerl".

Schmunzelware zuhauf

Die Schau kommt ohne große Überraschungen aus. Das gilt auch für jene Blätter, die unmittelbar mit Wurms Skulpturen in Beziehung stehen: Fett dahinwabernde oder verwurstelte Körper gibt es hier ebenso reichlich zu sehen wie Waffen und Erektionen. Schmunzelware gibt es zuhauf. Darunter die Zeichnung einer offenbar missglückten "One Minute Sculpture": One Minute Forever steht unter einem Skelett.

Kuratorin Hoerschelmann vermutet, dass man in Peace & Plenty das "Innerste Wurms" zu sehen bekomme. Immerhin lässt er viele seiner Skulpturen nach der Konzeption in Werkstätten anfertigen, hier aber folgt man direkt Wurms Strich. Bekräftigt wird die etwaige Intimität der Schau von der Geschichte zum Titel: "Peace & Plenty" ist auch der Name eines Luxushotels auf den Bahamas. Auch den dort erlittenen Asthmaanfall hat er zeichnerisch verarbeitet. (Roman Gerold, 21.11.2018)